Salzgitter. Der Aktionär Marnette, ehemaliger Chef der Aurubis, hat Salzgitter-AG-Vorstandschef Fuhrmann kurz vor der Hauptversammlung angezeigt.

Die Salzgitter AG blickt mit einem Vorsteuergewinn von 347,3 Millionen Euro auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr zurück. Davon profitieren auch die Aktionäre – ihre Dividende will der Stahlhersteller um 10 Cent auf 0,55 Euro je Aktie erhöhen, ein Plus von rund einem Fünftel. Angesichts des ebenfalls gut angelaufenen Geschäftsjahres 2019 dürften die Aktionäre dem Vorstand und Aufsichtsrat auf der Hauptversammlung am kommenden Donnerstag mit viel Wohlwollen begegnen.

Ein Anteilseigner der Salzgitteraner wird allerdings wohl für Störfeuer sorgen: Werner Marnette, ehemaliger Vorstandschef der Aurubis AG, an der die Salzgitter AG mehr als 25 Prozent hält. Er wirft dem Stahlhersteller vor, als Großaktionär an einer „feindlichen Übernahme“ der Aurubis zu arbeiten. Er befürchtet den Verlust der Eigenständigkeit der Aurubis. Um seine Bedenken zu klären, versucht der 73-Jährige seit Ende März am Landgericht Hamburg, sein Auskunftsrecht als Aktionär bei der Aurubis einzuklagen, wie das Landgericht unserer Zeitung bestätigte.

Vergangene Woche hat er nun nach eigenen Angaben zusätzlich Strafanzeige gestellt: gegen den Chef der Salzgitter AG, Heinz Jörg Fuhrmann – der auch Mitglied im Aufsichtsrat der Aurubis ist – sowie den Aufsichtsratsvorsitzenden der Aurubis, Fritz Vahrenholt. Die Salzgitter AG wollte sich auf Anfrage zu laufenden Verfahren nicht äußern. Für sie ist der Ex-Aurubis-Chef aber kein Unbekannter – seit Jahren bemängelt er angebliche nichtrechtmäßige Eingriffe der Salzgitter AG bei der Hamburger Kupferhütte.

Marnette wirft Salzgitter Eingriff ins operative Geschäft vor

Werner Marnette, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie, heute Aurubis, während seiner einjährigen Amtszeit als schleswig-holsteinischer Wirtschaftsminister bei einem Pressegespräch in Husum im Jahr 2009.
Werner Marnette, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie, heute Aurubis, während seiner einjährigen Amtszeit als schleswig-holsteinischer Wirtschaftsminister bei einem Pressegespräch in Husum im Jahr 2009. © dpa (Archiv) | Carsten Rehder

Marnette war 13 Jahre lang Vorstandsvorsitzender bei Aurubis, die damals noch Norddeutsche Affinerie hieß. Insgesamt arbeitete er rund 30 Jahre für den Kupferhersteller. 2007 schied er aus dem Unternehmen aus, blieb aber Anteilseigner. Der Salzgitter AG wirft der Aktionär vor, im Aufsichtsrat der Aurubis „seit Jahren über das rechtlich zulässige Maß in Personalentscheidungen, Investitionsentscheidungen und in das operative Geschäft“ einzugreifen – mit dem Ziel, die profitablen Hamburger möglichst preiswert zu schlucken.

So hätten innerhalb weniger Jahre fünf Wechsel an der Vorstandsspitze der Aurubis stattgefunden. „Die vom Vorstand der Salzgitter AG, insbesondere von Prof. Fuhrmann, angewandte Methodik schadet beiden Unternehmen und nutzt eine Vorgehensweise nach Gutsherrenart, die mit Aktienrecht und Corporate Governance nur noch wenig zu tun hat“, sagt Marnette.

Die sogenannte feindliche Übernahme werde vom Aufsichtsrat der Aurubis, allen voran dessen Vorsitzendem Vahrenholt, unterstützt, ist Marnette überzeugt. „Die Überlegungen, die Aurubis zu übernehmen, sind durchaus legal und machen aus Sicht der Salzgitter AG, die unter einem massiven Konsolidierungsdruck steht, wirtschaftlich Sinn“, so der Aktionär. „Für die Aurubis ist das Gegenteil der Fall, weil keine Synergien bestehen und weiteres Wachstum nur bei Erhalt der Eigenständigkeit erfolgen kann.“

Zum Hintergrund: Die Salzgitter AG hat Ende des vergangenen Jahres ihre Anteile an der Hamburger Kupferhütte Aurubis wieder von 20 auf 25 Prozent aufgestockt. Damit verfügt sie über eine Sperrminorität, also ein umfassendes Vetorecht. Schon vorher hielten die Salzgitteraner einige Jahre rund ein Viertel an der Kupferhütte, durch den Umtausch einer Wandelanleihe sank die Beteiligung 2017 aber auf 16 Prozent. Danach kaufte der Stahlhersteller in kleinen Schritten wieder zu. Die Beteiligung an der profitablen Kupferhütte zahlt sich für die Salzgitteraner aus: Allein im ersten Quartal dieses Jahres brachte sie 40 Prozent des Gewinns ein – mehr als die erfolgreichste eigene Sparte, die Flachstahl. Im Geschäftsjahr 2018 trug Aurubis rund 12 Prozent zum Gewinn bei.

Fuhrmann: Kein Beschluss in Richtung Übernahme

Die Salzgitter AG verwies auf Anfrage unserer Zeitung auf frühere Äußerungen Fuhrmanns, die er im Februar auf der Hauptversammlung der Aurubis in Hamburg sowie bei der Vorstellung der Konzernzahlen in Salzgitter gemacht habe. Bei Letzterer sagte Fuhrmann: „Bis heute gibt es keinen Beschluss in Richtung Übernahme. Was wir in Zukunft machen werden, ist aber offen. Wir sind frei nach vorne hin.“

Von Aurubis hieß es, von Übernahmeplänen durch die Salzgitter AG sei nichts bekannt. Außerdem teilte ein Sprecher auf Anfrage mit: „Der Aurubis-Aufsichtsrat ist dazu verpflichtet, ausschließlich im Interesse des Unternehmens zu handeln, und tut das auch. Die Salzgitter AG nimmt keinen Einfluss auf das operative Geschäft der Aurubis AG.“ Dem Unternehmen seien zudem auch keine Straftatbestände bekannt, die eine Strafanzeige gegen den Aurubis-Aufsichtsrats-chef Vahrenholt oder das Aufsichtsratsmitglied Fuhrmann rechtfertigen würden.

Schon bei der Hauptversammlung der Aurubis im Februar dieses Jahres hatte Marnette 82 Fragen an das Unternehmen zur Rolle des Großaktionärs Salzgitter AG gestellt. Weil die schriftlich nachgelieferten Antworten seiner Meinung nach „nicht oder nur unvollständig beantwortet“ wurden, zog der Ex-Aurubis-Chef vor Gericht – um „wahrheitsgemäße Auskünfte zu den von mir kritisch hinterfragten Sachverhalten zu erzwingen“.

Im Vorfeld der anstehenden Hauptversammlung der Salzgitter AG reichte Marnette nun außerdem Gegenanträge ein, in denen er fordert, den Vorstand und Aufsichtsrat des Stahlkonzerns nicht zu entlasten sowie Salzgitter-Chef Fuhrmann „wegen wiederholter aktienrechtlicher Verfehlungen und Verstöße gegen Corporate Governance abzuberufen“.

Er begründet das unter anderem damit, dass der Vorstand der Salzgitter AG die mehr als 200 Millionen teure Wiederaufstockung der Aurubis-Anteile erst mit nachträglicher Zustimmung des Aufsichtsrats durchgeführt habe. „In vieler Hinsicht ein schwerer aktienrechtlicher Verstoß“, heißt es im Antrag Marnettes, der unserer Zeitung vorliegt. Aktionäre der Salzgitter AG würden durch diese Investition jährlich um zweistellige Millionenbeträge betrogen, weil die Aurubis-Aktien weniger Rendite abwerfen würden, als eine Investition dieser Größenordnung in andere Projekte eingebracht hätte. Diese Investition, glaubt Marnette, sei nur mit Übernahmeabsichten zu rechtfertigen gewesen.

Ex-Aurubis-Chef: Ich ziehe das jetzt durch

Seine Gegenanträge wurden nach eigenen Angaben nicht auf der Webseite der Salzgitter AG veröffentlicht. Weil Marnette das als „eindeutigen Verstoß gegen das Aktienrecht“ und den Versuch der Vertuschung wertet, stellte er schließlich die Strafanzeige, wie er unserer Zeitung mitteilte.

Auf der Hauptversammlung des Salzgitteraner Stahlkonzerns will Marnette von seinem Rederecht Gebrauch machen und mehrere Fragen an Vorstand und Aufsichtsrat richten. An Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hat er sich nach eigenen Angaben auch schon mit seinen Befürchtungen gewandt. Eine Antwort habe er bis dato nicht erhalten. Aber Marnette gibt sich kämpferisch: „Ich ziehe das jetzt durch“, sagt er.