Berlin. Die Anteilseigner gehen mit dem Autobauer zum Teil hart ins Gericht. Umweltaktivisten verleihen dem Konzern einen Negativpreis.

Die VW-Aktionäre gingen zwar auch in diesem Jahr mit Vorstand und Aufsichtsrat „ihres“ Unternehmens hart ins Gericht. Und doch scheint der Abgas-Betrug allmählich zu verblassen. Besuchten in den vergangenen Jahren knapp 2000 Anteilseigner die Hauptversammlung, kamen am Dienstag nach VW-Angaben noch 1000 auf das Messegelände in Berlin. Langweilig war es trotzdem nicht – ganz im Gegenteil. Was auffiel: Immer mehr Vertreter von Organisationen meldeten sich zu Wort und immer mehr junge Menschen. Dafür sorgt auch die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“.

Während für VW-Konzernchef Herbert Diess der nun dreieinhalb Jahre zurückliegende Abgas-Betrug keine tragende Rolle mehr in seiner Rede spielte, haben viele Redner auf der Hauptversammlung den Skandal noch längst nicht abgehakt. Die Gründe dafür sind jedoch ganz unterschiedlich. Grundsätzlich gibt es zwei Fraktionen: die Aktionäre, die vor allem die mittlerweile auf rund 30 Milliarden gestiegenen Kosten für die Bewältigung des Skandals kritisieren, und jene, die VW weiter vorwerfen, den Klimaschutz zu vernachlässigen. Unterschieden werden muss auch zwischen der Qualität der Aktionärsreden. Das Spektrum bewegt sich zwischen sachlich wohlwollend, sachlich kritisch, persönlichen Attacken insbesondere gegen VW-Aufsichtsratschef und Versammlungsleiter Hans Dieter Pötsch sowie reiner Selbstdarstellung.

Zu den VW-Kritikern zählt Ingo Speich von der Sparkassen-Fonds-Gesellschaft Deka Invest. Er bemängelte, dass der VW-Aktienkurs „auf der Stelle tritt“ und ein Ende des Diesel-Skandals nicht in Sicht sei. Weil VW die E-Mobilität verschlafen habe, seien nun hohe Investitionen erforderlich, um nicht abgehängt zu werden. Unter dem Aspekt guter Unternehmensführung sei VW „das traurige Schlusslicht im Dax“. „Es riecht nicht nach Aufbruch“, sagte Speich. Er forderte nicht nur den Rücktritt Pötschs, „um Schaden vom Unternehmen abzuwenden“, sondern kündigte zugleich an, gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen. Das Verhältnis zwischen dem Autobauer und der Sparkassen-Tochter ist ohnehin belastet: In einem Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig gegen Volkswagen ist die Deka Invest Musterklägerin.

Zu den Rednern alter, gemäßigter Schule gehört Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Er gratulierte der Unternehmensspitze zu den wirtschaftlichen Ergebnissen des Vorjahres und des ersten Quartals 2019. Allerdings machte er auch deutlich, dass die 30 Milliarden Euro zur Bewältigung des Abgas-Betrugs eine sehr große Last sind – zumal etliche juristische Auseinandersetzungen noch nicht beendet sind. „Hoffentlich werden es nicht noch einmal 30 Milliarden“, sagte er.

Unaufgeregt, aber nicht unkritisch trat auch Gerd Kuhlmeyer, Vorsitzender der Gemeinschaft der VW-Belegschaftsaktionäre, auf. Er bemängelte, dass die Diskussion um Abgas- und Umweltthemen „unüberschaubar, unübersichtlich und in Teilen widersprüchlich“ sei. „Damit ich nicht missverstanden werde: Die Diskussionen sind wichtig und richtig, aber die alleinige Fokussierung auf den Diesel, auf die Automobilindustrie und schwerpunktmäßig auf Volkswagen ist unerträglich. Die Belegschaft hat davon die Nase voll“, sagte Kuhlmeyer.

Er äußerte die Sorge, dass es zu riskant sein könnte, wie Volkswagen allein auf die E-Mobilität als alternativen Antrieb zu setzen. „Andere Hersteller sind da breiter aufgestellt: Welche Rolle spielen für VW perspektivisch eigentlich andere Antriebskonzepte?“, fragte er.

Verbände und Bewegungen mahnen Verantwortung an

Häufig traten auf der Hauptversammlung junge Menschen an das Mikrofon. Joshua Wolf von der Klimaschutz-Bewegung „Extinction Rebellion“ sagte: „Ich stehe hier nicht als Aktivist, sondern als Mensch vor Ihnen als Vorstand, vor den Aktionären und vor den Medienvertretern, um Sie an ihre Verantwortung zu erinnern.“ Die Welt befände sich in einer ökologischen Krise, Autos würden immer größer, der Regenwald kleiner. Er forderte den Konzern auf, sich rechtlich an Klimaschutzziele zu binden.

Für die junge Klimaschutz-Bewegung „Fridays for Future“ sprach Clara Mayer mit viel Verve. Sie kritisierte die vom Konzernchef Diess vorgetragene „Lobeshymne“ auf das Unternehmen bei der Hauptversammlung. „Ich sage Ihnen, was Sie tun, ist nicht genug“, so Mayer. VW forciere zwar die Elektro-Mobilität und strebe eine CO2-freie Produktion bis 2050 an, aber: „Ist das Ihre Vorstellung von einem radikalen Wandel?“, fragte die 18-Jährige. Außerdem würde Diess zugleich den Erfolg des SUV-Segments feiern. Doch jedes Jahr schwerere Autos zu verkaufen, das nenne sie „Rückschritt durch Technik“. Die Fridays-for-Future-Aktivistin bezeichnete es außerdem als „niedlich“, dass der Wolfsburger Autobauer nun der E-Mobilität hinterherrenne, während andere Länder schon den Verbrennungsmotor verbieten würden. „Es geht nicht um die Dividende des nächsten Jahres, sondern um die der Zukunft.“

Die Ethecon-Stiftung für Ethik und Ökonomie, verlieh dem Konzern auf der Hauptversammlung den Negativpreis „Black Planet Award“ für den Ruin des Planeten. Der VW-Vorstand habe in „vollem Bewusstsein“ der Erde geschadet und kurzfristigen Profit gesucht. Aktivisten entrollten im Versammlungssaal ein Banner mit der Aufschrift „Volkswagen – Gefahr für den blauen Planeten“. Rohstoffe für die E-Mobilität aus dem Kongo würden nachweislich unter Sklaven- und Kinderarbeit beschafft, argumentierte ein Vertreter der Stiftung.

Der VW-Beschaffungsvorstand Stefan Sommer ging während der Hauptversammlung ausführlicher auf die Rohstoff-Beschaffung ein und nannte verschiedene Maßnahmen, mit denen VW Transparenz in der Kobalt-Beschaffung erreichen will.

So beteilige sich Volkswagen an einem Zertifizierungssystem für Kobaltschmelzen im Kongo, der Konzern stehe ferner in Kontakt mit lokalen Nicht-Regierungs-Organisationen und arbeite mit „verschiedenen externen Dienstleistern“ zusammen, um Transparenz zu gewährleisten. „Wir akzeptieren keine Menschenrechtsverletzung in unserer Lieferkette. In Verdachtsfällen fordern wir Abstellmaßnahmen und überprüfen diese konsequent“, sagte Sommer.

Eine Aktivistin, die sich selbst als Wirtschaftsethikerin vorstellte, forderte Volkswagen auf, sich mit Frauenrechtlerinnen in Saudi-Arabien solidarisch zu erklären, die für ihr Recht auf Autofahren gekämpft hatten. Diese Frauen säßen zum Teil noch im Gefängnis und seien gefoltert worden. „Wissen Sie, dass die Verkäufe von VW in Saudi-Arabien wegen diesen mutigen Aktivistinnen gesteigert wurden? Sie schulden Ihnen was“, sagte sie. Außerdem fragte sie den Vorstand, ob er 2020 die Rallye Dakar unterstütze, auch wenn die saudi-arabischen Auto-Aktivistinnen noch im Gefängnis sitzen würden. VW Motorsport nehme an der Rallye nicht teil, antwortete VW-Vorständin Hiltrud Werner später. Eine Begründung nannte sie nicht.

VW-Chef Diess musste sich außerdem noch einmal seiner Aussage in einem BBC-Interview zur uigurischen Minderheit in der chinesischen Provinz Xinjiang stellen. Von dortigen Umerziehungslagern wisse er nichts, hatte er gesagt und die Aussage später revidiert. Im Auftrag des chinesischen Künstlers Ai Weiwei fragte ein junger Mann nun, wie Volkswagen einen Technologietransfer nach China und die damit verbundene Unterstützung der chinesischen Regierung bei der Kontrolle ihrer Bürger rechtfertige. In der Bundesrepublik würde solch eine Kontrolle gegen das Grundgesetzt verstoßen. Von VW hieß es dazu: Man achte, schütze und fördere die Menschenrechte.