Braunschweig. Bei einer Konferenz diskutieren Gewerkschaften über die Zukunft der Autoindustrie.

Gewerkschafter in der Auto-Industrie müssen offenbar große Widersprüche aushalten. Das wurde auf der Konferenz „Aus unseren Kämpfen lernen“ der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit den Gewerkschaften IG Metall, Verdi, NGG, GEW, DGB sowie der Kooperationsstelle Hochschulen-Gewerkschaften deutlich. Die Konferenz mit Teilnehmern aus ganz Deutschland und dem Ausland fand von Freitag bis Sonntag in Braunschweig statt.

In der Arbeitsgruppe 11 suchten Gewerkschaftsmitglieder eigentlich gewerkschaftliche Antworten auf die Krise der Automobilindustrie. Doch stattdessen diskutierten sie Grundsätzliches, einige Teilnehmer forderten die „Enteignung der Schlüsselindustrien“, die „Überwindung des Kapitalismus“ und schließlich auch eine „Weltrevolution“. Michael Clauss, Betriebsratsmitglied bei Daimler in Untertürckheim, sagte: „Das ist schön und gut, aber nicht Mainstream in den Betriebsräten.“ Er plädierte dafür, konkrete Antworten zu diskutierten und stellte zugleich fest, dass er eine „Krise“ der Automobilindustrie nicht feststellen könne. Autobauer verkauften und verdienten gut und investierten massiv in E-Mobilität. „Elektro-Autos sind die Lösung, die das Kapital hat. Und dieser Zug läuft schon, und zwar geschwind.“

„Auto mit 1,9 Tonnen Totgewicht“

E-Autos sind offenbar aber nicht die Lösung auf ökologische Fragen, die die Gewerkschaften sehen. Winfried Wolf, ehemaliger Politiker und Verkehrsexperte, sprach sieben Thesen aus, die gegen das E-Mobil sprächen. Eine davon war etwa, dass das Auto zunächst einmal als solches diskutiert werden müsse. „1,9 Tonnen Totgewicht zur Beförderung von 80 Kilogramm Mensch“, sei absurd, genauso wie die Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos – in Los Angeles beispielsweise 15 Stundenkilometer. Autos würden vier Mal so viel Fläche wie der ÖPNV einnehmen und für 20 Prozent der Klimagase verantwortlich sein. Eine andere These Wolfs: Es bestimmten immer noch die gleichen zwölf Autokonzerne 80 Prozent des Marktes, obwohl sich die regionale Produktion verschoben habe, etwa nach China.

Weiterhin würden in Kopenhagen zwei Drittel aller Wege mit dem Rad zurückgelegt. Die Stadt sei so groß wie Hannover – die Landeshauptstadt sei jedoch „Auto-Stadt“. Warum? „Wegen VW“, sagt Wolf. Und: „Jede Verkehrs-Investition führt zu Verkehr. Menschen orientieren sich am Angebot.“ Also müsse mehr in Radwege investiert werden. Eine weitere These: Um die Konversion – also eine Umkehr – der Automobilgesellschaft in Betrieb und Gesellschaft zu erreichen, müsse auch für Arbeitszeitverkürzung in den Betrieben gekämpft werden – schließlich hätten sich die Jobs in der Autoindustrie in Europa in den vergangenen 20 Jahren fast halbiert.

Während im Plenum aber Einigkeit darüber herrscht, dass die E-Mobilität umweltpolitisch und sozial nicht das Gelbe vom Ei ist, wissen die Gewerkschaftsmitglieder sehr wohl, dass ihre Meinung nicht stellvertretend für die Belegschaft steht. Ein Betriebsratsmitglied von Aida Cruises sagt: „Ich kann den Mitarbeitern ja schlecht sagen, dass Kreuzfahrten scheiße sind.“ Und so können wohl auch Betriebsräte bei Autobauern schlecht sagen, dass Autos an sich ein Problem sind.

Die Belegschaft sei gespalten, berichtet Clauss: Während die einen dächten, dass mit der E-Mobilität komme gar nicht erst, demonstrierten andere gegen Dieselfahrverbote. Eine Frau aus dem Plenum warnte davor, in eine Situation zu kommen wie im Braunkohlerevier. „Da haben Kumpels Umweltschützer als Verbrecher diffamiert.“

Aus dem VW-Standort Zwickau, der in Zukunft ausschließlich E-Autos bauen soll, berichtet ein Gewerkschaftsmitglied über die Verunsicherung der Kollegen. „Auf einmal ist alles falsch, was du gestern noch gemacht hast“, beschreibt er. Die Fabrik würde einmal umgekrempelt, viele hätten dabei Angst um ihren Arbeitsplatz.

Aus dem VW-Motorenwerk Salzgitter berichtet der Vertrauenskörperleiter Auke Tiekstra, dass die Dieselkrise sich drastisch auf das Werk und die Mitarbeiter ausgewirkt habe. Die Diesel-Schmiede musste plötzlich viel mehr Otto-Motoren bauen. Zudem habe sich jeder sechste Mitarbeiter „transformiert“, also umlernen müssen. Inzwischen werden in Salzgitter Rotoren und Statoren für E-Motoren gebaut. Ob auch Batterien künftig in Salzgitter gefertigt würden, stünde immer noch nicht fest, kritisiert Tiekstra.

„T-Roc Cabrio ist völliger Wahnsinn“

Während Tiekstra sich wünscht, dass das seiner Meinung nach gestiegene ökologische Bewusstsein in der Gesellschaft für Schwung sorgt, um Mobilität neu zu gestalten, beschreibt ein Vertrauenskörperleiter aus dem VW-Werk in Osnabrück das Vorgehen der Automobil-Vorstände als „Greenwashing“. In der Gewerkschaft selber breche wieder der Widerspruch zwischen Arbeit und Umwelt auf.

Ein wachsendes grünes Bewusstsein in der Gesellschaft sieht er nicht. „Leute kaufen SUV, wir bauen ein T-Roc Cabrio, das ist völliger Wahnsinn“, sagte er. Aber auch der Vertrauenskörperleiter lobte, dass wieder über Arbeitszeit diskutiert würde. „Nachhaltigkeit heißt weniger stofflicher Umsatz und das bedeutet auch weniger Arbeit.“

Trotz aller Diskussionen um eine sozial-ökologische Konversion der Automobilgesellschaft war sich das Plenum einig: Die Fabriken müssten gehalten werden. Einer warf schließlich den Gedanken auf: „Ich habe das Gefühl, die Arbeiter verstehen nicht mehr, was wir diskutieren.“