Braunschweig. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann warnt vor den Folgen des Austritts.

Vor mehr als zwei Jahren haben die Briten den Brexit beschlossen. Wie sich der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestaltet, ist jedoch weiterhin unklar. Bisher steht nur eines fest: Am 30. März 2019 wollen die Briten offiziell die EU verlassen. Laut den Industrie- und Handelskammern (IHK) aus unserer Region sollten sich Betriebe mit Großbritannien-Geschäft jetzt schon auf den EU-Austritt vorbereiten. „Damit sie keine Nachteile im UK-Geschäft erleiden“, begründet das Lars Heidemann, Außenwirtschaftsexperte der IHK Lüneburg-Wolfsburg. Bernd Meier, Hauptgeschäftsführer der IHK Braunschweig, rät den Firmen sich auf den „worst case“ einzustellen.

Einige Beobachter halten den Exit vom Brexit dabei immer noch für eine denkbare Option. So wie Winfried Huck, Professor für Wirtschaftsrecht an der Brunswick European Law School, die zur Ostfalia-Hochschule gehört. Einen harten Brexit, also eine klare Kappung der Beziehungen zu Brüssel, kann sich der Wirtschaftsjurist nur schwer vorstellen.

Die Rücktritte von Brexit-Hardlinern wie dem des ehemaligen UK-Außenministers Boris Johnson seien eine „Bankrotterklärung des harten Brexits“. „Die Nerven liegen in der Politik, vor allem aber bei den Unternehmen, blank“, beschreibt Huck die Situation in Großbritannien. Premierministerin Theresa May hatte zuletzt einen Austrittsplan vorgelegt, der weiterhin enge wirtschaftliche und regulatorische Verbindungen zur EU vorsieht. Das hatte die Rücktritte zweier Minister zur Folge.

Der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) geht davon aus, dass der Brexit die Konjunktur des Landes spürbar bremsen könnte. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er: „Sollte 2019 der Brexit endgültig kommen, wird er nicht spurlos an unserer Wirtschaft vorbeigehen.“ Der Brexit könne Niedersachsen in allen Bereichen Wachstum kosten. Allerdings glaubt Althusmann auch, dass das Land Verluste an anderen Stellen wieder kompensieren kann, und zwar wegen seiner robusten Wirtschaft. „Das Land hat ein Bruttoinlandsprodukt von rund 288 Milliarden Euro und ein Wachstum stabil über 2 Prozent“, so Althusmann.

Nach Angaben der Kammern gibt es in unserer Region insgesamt rund 340 Unternehmen, die Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien pflegen, viele im Bereich Maschinenbau und Automobilwirtschaft. Eine Aussage zum Exportvolumen konnten die IHKen nicht treffen. Für ganz Niedersachsen gilt Großbritannien jedoch als einer der wichtigsten Handelspartner. Im vergangenen Jahr exportierten niedersächsische Unternehmen Waren im Wert von 6,4 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich, bundesweit waren es 85 Milliarden Euro. In Niedersachsen machte das einen Anteil von 7,2 Prozent an den Gesamtausfuhren aus. Damit steht Großbritannien im Export-Ranking auf Platz 3.

„Unabhängig von konkreten Szenarien sollten sich Unternehmen bereits jetzt einige grundsätzliche Fragen stellen“, sagt Außenwirtschaftsexperte Heidemann. Im IHK-Bezirk Lüneburg-Wolfsburg gibt es laut Kammer vor allem viele kleine und mittlere Unternehmen mit Handelsverbindungen nach Großbritannien. „Insbesondere diese Unternehmen werden sich umstellen müssen“, ist sich Heidemann sicher.

Sie sollten sich laut Kammer rechtzeitig Exportwissen aneignen, um Zollanmeldungen für ihr UK-Geschäft abgeben zu können. Zudem empfiehlt die IHK Unternehmen, den Brexit in ihren Preiskalkulationen zu berücksichtigen, falls Ausfuhren nach Großbritannien künftig einen höheren Aufwand bedeuten. Weiter rät sie den Unternehmen, sowohl Verträge wie auch Liefer- und Produktionsketten zu überprüfen, um gegebenenfalls etwa über andere EU-Länder Vorprodukte zu importieren.

Frauke Allen ist mit ihrem Fachgeschäft für britische Spezialitäten und Lebensart in Braunschweig so eine Kleinunternehmerin. Was den Brexit angeht, schwebt sie noch völlig im Ungewissen. „Deswegen kann ich mich darauf auch nicht vorbereiten“, sagt sie. Sie bezieht alle ihre Waren direkt aus England. „Es sickert für den Handel noch nichts durch, alles ist völlig offen“, so Allen.

Existenzsorgen treiben die Geschäftsfrau nicht um, sie kann sich aber vorstellen, dass sich durch einen Brexit die Zölle erhöhen und damit der Einkauf teurer würde. Durch aufwendige Grenzkontrollen könnten zudem auch Spediteure ihre Preise anziehen. „Aber die Auswirkungen und die Ausmaße kann man einfach noch nicht abschätzen“, sagt sie. Ob harter oder weicher Brexit, angewiesen bleibt Allen so oder so auf die Produkte „Made in Britain“.

Die Firma X-Form-Systems in Hillerse unterhält ebenfalls Geschäftsbeziehungen nach England. Sie stellt für den internationalen Programmaustausch Ausrüstung für Fernsehsender her ­­– beispielsweise Bild-Konvertierer für die national unterschiedlichen Übertragungsstandards. Der Geschäftsführer des Kleinstunternehmens, Werner Eggers-Glüß, macht sich um das künftige England-Geschäft keine Sorgen. „Auf dem weltweiten Markt gibt es nur drei oder vier andere Anbieter, die solche Geräte wie wir anbieten“, sagt er. Allenfalls könne es künftig mehr Formalitäten mit dem Zoll geben.

Für Niedersachsens größten Arbeitgeber Volkswagen ist Großbritannien in Europa der zweitgrößte Absatzmarkt sowie wichtiger Produktionsstandort durch die Konzerntochter Bentley Motors. Für den Konzern ist es nach eigenen Angaben vor allem wichtig, „Zollprozesse so unkompliziert wie möglich zu gestalten, um eine ,just-in-time’-Produktion und unsere europäischen Lieferketten nicht negativ zu belasten“. Eine VW-Sprecherin sagt: „Wie die gesamte Industrie brauchen wir schnell und umfassend Klarheit über die Form der zukünftigen Beziehung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union.“

Althusmann sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben habe, dass vielleicht doch noch ein Umdenken in Großbritannien stattfinde. Diese Hoffnung, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Meier, hätten viele Unternehmen in unserer Region inzwischen nicht mehr. Er selbst hegt Zweifel, ob Mays Brexit-Pläne in vier Wochen noch Bestand haben. „Die Situation bleibt spannend“, sagt er.