Braunschweig. Die Happy Customer Managerin Eisermann plädiert für offene Unternehmensstrukturen.

Wenn es nach Sara Lena Eisermann geht, Happy-Customer-Managerin bei dem Berliner Start-Up Tandemploy, steckt die Mehrheit deutscher Unternehmen noch in der Zeit der Industrialisierung fest. „Es gibt eine 40-Stunden-Woche, eine Präsenzkultur, die Arbeit ist hierarchisch strukturiert und die Digitalisierung steht noch am Anfang“, sagt sie. Eisermann sprach auf Einladung des Arbeitgeberverbands Region Braunschweig am Mittwoch vor Unternehmern und Mitarbeitern über flexible Arbeitsformen. Auf der Diversity-Fachtagung der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel stellte zudem der Bachelor-Absolvent Leon-Daniel Fischer seine Studie „Wer geht in Führung“ vor – und berichtete, dass sich zwei Drittel der Arbeitnehmer aus unserer Region mehr Work-Life-Balance wünschen.

Fischer hat für seine Studie 137 Arbeitgeber befragt, darunter Volkswagen, Siemens und Alstom, außerdem 136 Arbeitnehmer sowie 966 Nachwuchskräfte. Während 36 Prozent der Unternehmer angaben, ihren Beschäftigten einen Ausgleich zur Arbeit anzubieten, sagte die doppelte Anzahl der Arbeitnehmer, 65 Prozent, dass für sie eine ausgewogene Work-Life-Balance von besonderer Bedeutung ist. Sie schlugen etwa eine 32-Stunden-Woche vor oder den Ausbau von Schulungsangeboten sowie die Verbesserung von Betreuungsangeboten für Kinder.

Sara Lena Eisermann, Customer Happiness Managerin bei Tandemploy, und Cordula Miosga vom Arbeitgeberverband Region Braunschweig.
Sara Lena Eisermann, Customer Happiness Managerin bei Tandemploy, und Cordula Miosga vom Arbeitgeberverband Region Braunschweig. © Hannah Schmitz

Die Lücke zwischen dem, was sich Arbeitnehmer wünschen und dem was Unternehmen bieten, klafft aber nicht nur in unserer Region. Eisermanns Arbeitgeber Tandemploy ist angetreten, um bundesweit einen Kulturwandel in Unternehmen anzustoßen. Und zwar ganz ohne einen langwierigen von der Führungsebene verordneten „Change-Prozess“, sondern ausgehend von den Mitarbeitern. „Das ist schwierig und muss von der Führungsebene kommunikativ begleitet werden, weil das ein echter Wandel in der Unternehmenskultur ist“, sagt Eisermann. Zudem gehe das oft einher mit der Sorge um einen Macht- und Kontrollverlust. „Das muss man aushalten“, sagt Eisermann. Kunden sind unter anderem der Nivea-Konzern Beiersdorf und das Energieunternehmen Innogy. Laut Eisermann ist Tandemploy bei einer Unternehmensgröße ab 500 Mitarbeitern sinnvoll.

Tandemploy bietet eine Jobsharing-Plattform an. Entstanden sei die Idee bei den zwei Gründerinnen des Unternehmens, Jana Tepe und Anna Kaiser, als sie mitbekamen, dass sich zwei Frauen gemeinsam auf eine Stelle beworben hatten – sie wollten Jobsharing betreiben. Diese Idee hat die Gründerinnen laut Eisermann fasziniert. „Die Plattform entstand dann schließlich, um Menschen, die anders arbeiten möchten, zusammenzubringen“, erzählt Eisermann. Inzwischen hat das Start-up 28 Mitarbeiter und bietet seine Dienste vor allem Unternehmen an. Diese nutzen die Plattform, um intern Mitarbeiter und Wissen sinnvoll zu vernetzen. „Wie die Datingplattform Tinder für die Arbeitswelt“, habe mal jemand gesagt.

Mitarbeiter legen in dieser Plattform ein persönliches Profil an und werden via Algorithmus „gematcht“, also zusammengebracht – etwa für ein Mentorenprogramm, Projekte oder Jobrotationen. Es gehe darum, das Denken in Silos und Abteilungen abzubauen, Kommunikation untereinander zu stärken und so das wertvolle Wissen der Mitarbeiter in der Breite zu nutzen.

Tandemploy selbst hat die 40-Stunden-Woche abgeschafft. „Die meisten arbeiten in einer Vier-Tage-Woche“, erzählt die Happy-Customer-Managerin, die beim Berliner Start-up für den Vertrieb zuständig ist. Es gebe dort einen Schlafraum, einmal im Monat fände ein „Offener Mittwoch“ statt. Die Arbeit werde stillgelegt an diesem Tag, die Mitarbeiter träfen sich im Hinterhof und kämen dort ins Gespräch. „Das ist unser Ausbrechertag. Was bei dem Austausch dort herauskommt ist sehr viel wert“, sagt Eisermann. Beispielsweise Ideen, um die bestehende Software zu verbessern.

Alte Strukturen müssten heute in Frage gestellt werden, weil sie nicht mehr zu neuen Anforderungen an die Arbeitswelt passten, etwa zur Digitalisierung. Neue Arbeitsmodelle seien sogar die Voraussetzungen dafür, dass Digitalisierung überhaupt funktionieren könne, ist Eisermann überzeugt. „Innovationen und Digitalisierung kann man nicht in alte Muster pressen“, sagt sie.

Leon-Daniel Fischer, Bachelor-Absolvent an der Fakultät Maschinenbau der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel.
Leon-Daniel Fischer, Bachelor-Absolvent an der Fakultät Maschinenbau der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel. © Ostfalia

Fischer hat sich in seiner Studie vor allem mit dem Thema Diversität beschäftigt. Dabei kamen Aussagen heraus, die die niedersächsische Sozial- und Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) als durchaus „ernüchternd“ bezeichnete. Gefragt, wie die Arbeitgeber Maßnahmen zur Frauenförderung – etwa die Frauenquote oder das Gesetz zur Entgeldtransparenz – bewerteten, sagten 39 Unternehmer, deren Wirkung seien „unwesentlich“, 22 Arbeitgeber halten sie laut Studie für komplett wirkungslos, nur zwei Unternehmen gaben an, sie seien effizient und nachhaltig. Zugleich liegt der Frauenanteil im höheren Management aber nur bei 11 Unternehmen bei fünf bis zehn Prozent. 58 Unternehmen haben eine Frauenquote von Null. 82 der befragten Arbeitgeber, 60 Prozent, sagen außerdem, dass es das Phänomen der gläsernen Decke nicht gebe. Nur sieben Unternehmen, fünf Prozent, sehen in ihrer eigenen Firma diese Aufstiegssperre für Frauen.

Während Fischer dafür plädiert, abzuwarten, ob die recht neuen Gesetze etwa zur Frauenquote noch Wirkungen zeigten, spricht sich die SPD-Politikerin Reimann für „umfassende gesetzliche Regelungen“, aus, um Diversität auf allen Hierarchieebenen in der Arbeitswelt zu erreichen. Freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen brächten nichts, zeigten ihre Erfahrungen. Sie glaubt zudem: Wenn alle Arbeitnehmer mehr Zeitsouveranität gewinnen würden, steige auch die Wertschätzung für Arbeit in Teilzeit, der vor allem Frauen nachgingen. Heute gelte immer noch der als vorbildlich, der Vollzeit oder mehr arbeite, so Reimann.

Das sieht auch die Happy-Customer-Managerin Eisermann so. Aber wer habe festgelegt, dass jeder Beruf am besten in eine 40-Stunden-Woche passe? Unternehmen gäben oft an, dass neue Arbeitsmodelle nicht etabliert würden, weil Ressourcen und Zeit dafür fehlten. Eisermann empfiehlt: Einfach machen. Und setzt noch ein Hashtag davor. Für Instagram.