Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht über die feierliche Inauguration von Joe Biden - aber auch über die Herausforderungen von Homeschooling.

"Es gibt immer Licht, wenn wir mutig genug sind, es zu sehen, mutig genug sind, es zu sein." - Amanda Gorman

In dieser Woche hatten wir einen Lichtblick bitter nötig: Die schier endlose Fortdauer der Corona-Krise schlägt vielen Menschen auf die Moral. Dass die Infektionszahlen sinken, hilft den alten Menschen in unseren Seniorenresidenzen nicht, die mit Schrecken von den fatalen Covid-Ausbrüchen in ähnlichen Einrichtungen lesen. Der verlängerte Lockdown vertieft die Krise des Handels, der Gastronomie, der Hotellerie, der Kinos, freien Kultureinrichtungen, der Fitnessstudios, der Gärtnereien, vieler Soloselbständiger. Über allem hängt das Damoklesschwert, dass die neue, noch ansteckendere Corona-Variante die Lage noch verschärfen könnte. Und bei den Impfungen kommen wir nur sehr langsam voran. Dass es selbst bei sehr alten Menschen und bei Klinikpersonal zum Stillstand kam, zeugt von engen Produktionskapazitäten, aber auch von viel zu vorsichtiger Bestellung. Das muss schnellstmöglich korrigiert werden.

Der Lichtblick dieser Woche kam von Westen her. Donald Trump ist, wie man so schön sagt, vorerst Geschichte. Sein Nachfolger Joe Biden wurde feierlich inauguriert, in schönstem Wintersonnenschein, wenn auch ohne die fröhliche Stimmung und die große Anteilnahme der Bürgerinnen und Bürger, die wir von früheren Amtsübergaben kennen. Nur wenige konnten Biden ins neue Amt begleiten.

Neue Zeit ist angebrochen

Der Würde der Zeremonie tat das keinen Abbruch. Der vielleicht anrührendste Moment war der Auftritt der erst 22-jährigen Dichterin Amanda Gorman. Wenn Dichtung so etwas wie die Essenz eines Moments treffen kann, dann ist Gorman genau das gelungen. "Es gibt immer Licht, wenn wir mutig genug sind, es zu sehen, mutig genug sind, es zu sein" lautet einer ihrer starken Sätze. Sie gab der Hoffnung auf Versöhnung, aber auch auf mehr Gerechtigkeit eine Stimme. Gormans Verse waren überschrieben mit „Der Hügel, den wir erklimmen“ - man wünscht der tief zerrissenen amerikanischen Nation, dass sie den Aufstieg gemeinsam schafft.

Trump wird dabei keine Hilfe sein. Der Abgewählte, der nicht den Anstand besaß, an der Inaugurationsfeier teilzunehmen, wird dazu keinen Beitrag leisten. Biden aber setzte umgehend Zeichen, dass nun eine neue Zeit angebrochen ist. Die Rückkehr zum Klimaschutzabkommen und in die Weltgesundheitsorganisation, die Aufhebung von Einreisesperren für Menschen aus muslimisch geprägten Staaten, die Einführung von wirksameren Corona-Schutzmaßnahmen korrigieren katastrophale Entscheidungen Trumps. Weitere Weichenstellungen werden folgen.

Corona-Abwehr an den Schulen

In der Eindeutigkeit des Kurswechsels liegt etwas Haltgebendes. Biden zeigt Amerikas Bürgern und Amerikas Verbündeten, was sie von ihm zu erwarten haben. Die Unberechenbarkeit von Gottes eigenem Land weicht einer Rückkehr zur Verbindlichkeit. Es gibt in Zeiten tiefer Irritation kaum etwas Wichtigeres.

Es wäre unfair, dieselbe Eindeutigkeit von unseren Regierungen in Bund und Ländern zu erwarten, die bis zur Halskrause im politischen Alltag stecken. Der Machtwechsel, den Amerika gerade erlebt, ist ein Moment der Gnade, selten sind die Handlungsspielräume größer. Aber ein ganzes Stück mehr Verbindlichkeit wäre bei uns dringend wünschenswert. Und weniger Prinzipienreiterei auch. Ein wirklich ärgerliches Beispiel für unsinnige Kleinstaaterei geben mehrere Bundesländer bei der Corona-Abwehr an den Schulen. Da wird unter Schmerzen beschlossen, dass unsere Kinder bundesweit bis Mitte Februar nicht in der Schule unterrichtet werden sollen. Jeder weiß, dass es dem Ziel dient, die Zahl der Kontakte weiter zu reduzieren. Und dann hält Niedersachsen die Grundschulen offen. Warum klammert sich ein Kultusminister, eine Landesregierung an das Prinzip Präsenzunterricht?

Unterricht in einer Ausnahmesituation

Natürlich ist Homeschooling bei den Schulanfängern kaum zu bewerkstelligen. Und wir wissen, dass der direkte Kontakt zwischen Lehrer und Schüler die beste Gewähr bietet, dass Kinder aus prekären Verhältnissen die notwendige Förderung erfahren. Aber glaubt man wirklich, dass der Gewinn weniger Wochen das Risiko weiterer Virus-Verbreitung rechtfertigt?

Die Eltern haben das Recht, über die Teilnahme ihrer Kinder zu entscheiden. Viele werden viele ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Ob regulärer Unterricht unter diesen Umständen möglich ist, darf bezweifelt werden.

Oder nehmen wir die Schülerinnen und Schüler, die in diesem Jahr ihren Abschluss machen sollen. Sie haben in den vergangenen Monaten Unterricht in einer Ausnahmesituation erlebt. Von regulären Bedingungen kann in vielen Fällen keine Rede sein. Weder beim Unterricht, noch bei den Lernmöglichkeiten zu Hause, noch was ihre psychische Belastung betrifft. Und dennoch fordert deutsche Kultuspolitik von diesen jungen Menschen, dass sie auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle zum Präsenzunterricht erscheinen und ganz normale Prüfungen ablegen. Die Begründung: Man wolle ihnen den vollwertigen Abschluss nicht vorenthalten.

Faire Chance für Schüler und Schülerinnen

Nicht zum ersten Mal entsteht der Eindruck, dass Empathie, die Fähigkeit, sich in die jungen Menschen hineinzudenken, nicht zum Stellenprofil in den Kultusbehörden und bei ihrem politischen Führungspersonal gehört. Man kann den Schülerinnen und Schülern nur wünschen, dass sie sehr verständnisvolle Lehrer, Eltern und Geschwister haben, dass sie in sich die Kraft finden, sich in dieser Ausnahmesituation auf ihre Prüfungen zu konzentrieren.

Diese Prüfungen müssen tatsächlich so zugeschnitten werden, dass die Schülerinnen und Schülern dieses Jahrgangs eine faire Chance bekommen. Das darf nicht der Selbstdisziplin der Autoren überlassen bleiben. Die Kultusminister haben es in der Hand, ob aus einer schwer belastenden Zumutung ein bildungspolitischer Skandal wird.

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