Chefredakteur Armin Maus spricht über steigende Inzidenzwerte, die Diskussion rund um einen möglichen Lockdown und die sonst so fröhlichen Feiertage.

"Leicht zu leben ohne Leichtsinn, heiter zu sein ohne Ausgelassenheit, Mut haben ohne Übermut; das ist die Kunst des Lebens." - Theodor Fontane

Kommt nach Weihnachten bundesweit der harte Lockdown? Keine Frage wurde in dieser Woche häufiger gestellt. Trotz der Einschränkungen des öffentlichen Lebens lag die Zahl der Neuinfizierten auch am Donnerstag wieder deutlich über der 20.000er-Marke. Selbst die nicht zu Extrempositionen neigende Landesregierung Niedersachsens sieht sich unter Handlungsdruck. Dabei steht Niedersachsen noch vergleichsweise gut da.

Die Inzidenzwerte, an denen man die Zahl der Neuinfizierten auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen ablesen kann, lagen nur in drei Bundesländern unter 100. Angestrebt ist ein halb so hoher Wert, weil er nach Einschätzung der Virologen und Epidemiologen die Beherrschbarkeit der Pandemie sichert. Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und unser Bundesland Niedersachsen sind auf dem besten Weg, mit Werten zwischen 59 und 79 zum beneideten Vorbild für die ganze Republik zu werden. Der Vergleich mit Bayern, Thüringen und Sachsen zeigt den Abstand – Covid-19 gerät in Teilen Deutschlands außer Kontrolle. Dort werden Inzidenzwerte zwischen 186 und 310 errechnet.

Es droht bleibender Schaden

Daraus entstehen bange Fragen. Wird bald auch der Handel mit Ausnahme des Lebensmittelhandels und der Apotheken geschlossen? Was ist mit den Schulen und den Unternehmen, die sich bisher tapfer durch die Krise kämpften? Wie lange müsste ein harter Lockdown dauern, um die Infektionswelle nachhaltig zu brechen?

Die Sorgen sind groß, weil wir alle wissen: Der wirtschaftliche und soziale Schaden eines neuerlichen langen und totalen Stillstandes wäre immens. Eine weitere staatliche Stützungsaktion wie während des Lockdowns in der ersten Corona-Welle würde die Schulden in gefährliche Höhe treiben. Kommt sie nicht, sind Arbeitsplätze bedroht, die jetzt mit Müh’, Not und Kurzarbeitergeld noch gehalten werden konnten. Die Auszehrung einiger schwer betroffener Branchen ist weit fortgeschritten. Gastronomie, Kinos, freie Künstler und Selbstständige rutschen ab; es droht bleibender Schaden, wenn auch nur die gegenwärtige Situation noch lange andauert.

Zusätzliche Chancen für den Virus

Viele sagen: Wir brauchen den Befreiungsschlag, zumindest als Tiefschlaf über die Feiertage. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als diesen, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Tatsächlich kommt in der Zeit zwischen Heilig Abend und dem Dreikönigstag das Leben in unserem betriebsamen Land zu einer gewissen Ruhe. Die Schüler und Lehrer machen Ferien, viele Familien genießen die Feiertage in Freizeit. Und auch viele Unternehmen nehmen den Fuß vom Gaspedal. Nur der Handel läuft unter Volldampf, für ihn wäre der Verlust gewaltig.

Trotz dieser gravierenden Einschränkung könnte man denken: In der Not wäre der Lockdown zwischen den Jahren eine gute Idee. Nur: Wie passt sie mit der fröhlichen Weihnachtsfreiheit zusammen, die die Regierungen von Bund und Ländern eben erst beschlossen hatten? Familien sollten kreuz und quer durch die Republik über die Weihnachtsfeiertage zusammenfinden, die Hotels dürfen sie aufnehmen. Es gehört keine Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass die Mischung von Menschen aus Corona-Hotspots und weniger stark betroffenen Regionen dem Virus zusätzliche Chancen gibt.

Feiernde müssen äußerste Disziplin zeigen

Ministerpräsident Stephan Weil hat die Feiertagslockerungen in unserem Interview mit der hohen Bedeutung der Weihnachtsfeiertage für die Familien begründet. Eine harte Linie wäre von den Bürgerinnen und Bürgern nicht akzeptiert worden, sagte er. Daran ist viel Wahres. Wenn der Staat die Einschränkungen dennoch verfügte, müsste er bereit sein, sie durchzusetzen. Und er wäre gescheitert. Es wäre furchtbar, wenn am Heiligen Abend der Schupo Deutschlands Wohnzimmer nach verbotenem Familienglück filzen müsste.

Wenn die Feiertagsfreiheit ohne massive Folgen für die Gesundheit Zehntausender von Menschen bleiben soll, müssen alle Feiernden äußerste Disziplin üben. Da wäre selbst bei „Stille Nacht“ und Bescherung die Umarmung von Oma und Onkel tabu, da müsste selbst nach dem süffigsten Festtagstrunk Distanz gehalten werden.

Inzidenzwerte unter 50

Man muss ein Optimist sein, um an diese Möglichkeit zu glauben. Der aktuelle Eindruck ist doch eher der einer Corona-Müdigkeit, eines Nachlassens der Aufmerksamkeit, weil die Anstrengungen scheinbar wenig bewirkt haben. Die sehr laut und sehr selbstgewiss vorgetragenen Argumente der Corona-Skeptiker tragen dazu bei.

Dabei sind selbst die hohen Infektionszahlen so etwas wie Glück im Unglück. Wir haben es immerhin geschafft, die exponentielle Ausbreitung des Virus zu stoppen. Und da, wo die Menschen besonders besonnen und diszipliniert waren, wo die Gesundheitsämter exzellent gearbeitet haben und die Unternehmen tatkräftig mithalfen, sind sogar Inzidenzwerte unter 50 wieder erreicht worden oder doch in greifbarer Nähe.

Keine Alternative zu Disziplinz

Kommt der harte Lockdown? Und kommt er über Wochen, „so lange wie nötig“, wie Söder sagt? Wir sollten uns nichts vormachen. Diese Entscheidungen treffen nicht Stephan Weil, Markus Söder oder ihr sächsischer Kollege Michael Kretschmer. Die Entscheidung treffen wir alle gemeinsam. Wenn wir bequem und leichtsinnig werden, wenn wir auf Corona pfeifen, dann bleibt gar nichts anderes übrig als das Schockfrosten unseres ganzen Landes. Mit all den Verbrennungen, die seine Folge wären. Wir haben keine Alternative zu äußerster Disziplin.

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