Braunschweig. Chefredakteur Armin Maus spricht im Podcast über die organisierte Eintracht-Fanszene, ihren Umgang mit Streiff und die Chance, die verpasst wurde.

Keine Angst – ich werde jetzt nicht singen. Sie wissen ja, wie es bei Pippi Langstrumpf klingt. Zwei mal drei macht vier Widdewiddewitt und drei macht neune! Ich mach’ mir die Welt - widdewidde wie sie mir gefällt! In Braunschweig ist jetzt etwas passiert, dass mich glauben lässt, die organisierte Fanszene von Eintracht lebe nach dieser Devise.

Wir sind alle Braunschweiger Jungs. Dieser klassische Fangesang, einer der schönsten im Stadion an der Hamburger Straße, klingt so friedlich und einträchtig. Diejenigen, die sich selbst für „die Fans“ von Eintracht Braunschweig halten, haben einen dieser Braunschweiger Jungs gerade kraftvoll vor den Kopf gestoßen.

Vergebliche Mühe um Ebel-Nachfolger

Helmut Streiff ist erfolgreicher Unternehmer, der eine große Zahl von Arbeitsplätzen geschaffen hat, der als IHK-Präsident die Einigung der niedersächsischen Kammern ermöglichte und eine der meistrespektierten Persönlichkeiten der Region ist. Er war bereit, sich als Präsident in den Dienst an Eintracht Braunschweig zu stellen. Welche Chance das bedeutet, wissen viele in der Region – Streiffs Engagement für die Exzellenzbewerbung der TU Braunschweig bewies, was dieser Mann in seiner integrierenden Art bewegen kann. Den organisierten Fans war es offenkundig wumpe.

Der Traditionsclub hatte sich lange und vergeblich um einen geeigneten Nachfolger Sebastian Ebels bemüht. Angesichts der Vergeblichkeit der Suche fand sich Streiff schließlich bereit. Wohlgemerkt: Er hat sich weder beworben, noch hat er kandidiert. Streiff war bereit, das Ehrenamt zu übernehmen, weil er die Bedeutung des BTSV für die Stadt und die Region kennt, weil er sich als Teil der blau-gelben Familie sieht. Er hat sich eines anderen besonnen.

Chefredakteur Armin Maus.
Chefredakteur Armin Maus. © BZV Medienhaus

Helmut Streiff war ein Glücksfall

Aus diesem Vorgang ist mindestens zweierlei zu schließen. Erstens drängen sich Menschen von Kraft und Einfluss keineswegs danach, Präsident des BTSV zu werden; das Engagement von Sponsoren entspringt eher selten dem Wunsch nach Herrschaft und ist sehr oft der Fürsprache von Menschen zu verdanken, die dieses Engagement als Teil gesellschaftlicher Verantwortung ihrer Firmen sehen. Deshalb wäre es zweitens notwendig, mit solchen Menschen wertschätzend umzugehen.

Man muss befürchten, dass sich in der Kurve jetzt einige ganz furchtbar mächtig fühlen. Schließlich hat sich ihr Stadion-Transparent-Imperativ „Streiff verhindern“ erfüllt. Möge der Fußballgott bessere Einsicht über der Kurve ausschütten – sie haben keinen Grund zur Freude.

Dass ein Mann von der Statur eines Helmut Streiff bereit war, sich für Eintracht zu engagieren, war ein Glücksfall. Schon vor seiner Wahl gab es Braunschweiger Unternehmer, die bereit waren, ihre Unterstützung für den Club hochzufahren, weil sie Streiff vertrauen. Mit ihm gab es alle Chancen, den Weg der wirtschaftlichen Stabilität und des sportlichen Erfolgs fortzusetzen, den der Club mit Ebel eingeschlagen hatte. Präsidium, Sponsoren, sportlicher und kaufmännischer Geschäftsführer und ganz sicher auch viele Fans hatten diese Chance begriffen.

Es herrscht kopfschüttelnde Ratlosigkeit

Dann aber ging Streiff unbefangen in ein Gespräch mit Vertretern der organisierten Fanszene und sprach über etwas, das man für eine Selbstverständlichkeit halten sollte: Man solle zu Hannover 96 und VfL Wolfsburg Kontakt suchen. Es wäre grotesk, wenn die wichtigsten Fußballclubs binnen 60 Kilometern nicht versuchen würden, gemeinsame Interessen zu verfolgen. Wir lernen aber, dass Toleranzgrenzen so eng geschnürt sein können wie eine Bandage. Der Wunschpräsident Streiff wurde kurzerhand zur Persona non grata erklärt. Auf seine Angebote zu weiteren Gesprächen bekam er keine Antwort. Und das war es dann mit dieser großen Chance.

Abseits des Kerns der organisierten Fanszene herrscht seither kopfschüttelnde Ratlosigkeit. Es ist niemand in Sicht, der als Präsident zur Verfügung stünde und auch nur annähernd die Fähigkeiten und Verbindungen eines Helmut Streiff hätte.

Die Fußballwelt ordnet sich nicht dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip unter

Der Affront gegen ihn ist offensichtlich Ausdruck eines grundlegenden Konflikts. Stark ist die Sehnsucht nach einem Fußball, der fest in den Händen der einfachen Leute ist, in dem Sponsoren, Fernsehsender und, siehe Pyros, selbst der Gesetzgeber nichts zu melden haben. Groß ist die Furcht, dass Fußball in den Besitz der Oligarchie geraten könnte. Der Widerstand gegen Entwicklungen wie wir sie in Großbritannien oder Frankreich sehen, hat sicher dazu beigetragen, dass die deutschen Profi-Ligen noch Bindung an die Wurzeln dieses Volkssports zeigen. Das ist segensreich. Und selbstverständlich sind die organisierten Fans wichtig für die Atmosphäre im Stadion, sie geben der „Eintracht-Familie“, von der Helmut Streiff schreibt, emotionale Qualität. Beim harten Kern der Fanszene allerdings entwickelt sich daraus nicht nur in Braunschweig die Phantasie, sie seien die alleinigen Herren des Fußballs.

Das ist ein Irrglaube. Abgesehen davon, dass Eintracht Braunschweig keineswegs nur Heimat des Fußballsports ist und dass der Club als Identifikationsfaktor einer ganzen Region wie als sportliches Kulturgut niemals die Sache einer vergleichsweise kleinen Gruppe werden kann: Die Fußballwelt ordnet sich nicht dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip unter. Fußball ist eine komplizierte Angelegenheit, zu der eine leidenschaftliche Fanbasis ebenso gehört wie ein Unterstützerkreis mit wirtschaftlicher Kraft. Erst wenn sie zusammenwirken, können die sportlich Verantwortlichen erfolgreich arbeiten.

BTSV braucht mehr als stimmstarke Fans

Aus organisierten Fankreisen ist zu hören, es sei egal, in welcher Liga Eintracht spiele, Hauptsache der Club bleibe der Tradition treu. Das ist eine Haltung, die man respektieren kann. Die meisten Fußballfans unserer Region dürften aber lieber hochklassigen Fußball sehen. Und der ist nach der reinen Lehre nicht machbar.

"Unser BTSV“ braucht mehr als stimmstarke Fans in der Kurve. Er braucht die Bereitschaft aller Beteiligten, in Eintracht für den Club zu arbeiten. Neinsagen, Rauswerfen und Verhindern vernichtet guten Willen und Perspektive. Wir sind alle Braunschweiger Jungs (und Mädels!). Nur in diesem Geist wird es gut werden.