Vechelde. Karl-Heinz Mühlbradt hält die Ministerpräsidentenwahl von Thomas Kemmerich (FDP) für ein „Fiasko“ und begründet so seinen Austritt.

Das „Erdbeben“ in Thüringen – es schlägt durch bis in die Gemeinde Vechelde: Karl-Heinz Mühlbradt, jahrzehntelang das „Gesicht“ der Liberalen in der Ostkreiskommune, ist aus der FDP ausgetreten. Beim Peiner FDP-Kreisparteitag in der nächsten Woche hätte der Ruheständler für seine 40-jährige Parteimitgliedschaft geehrt werden sollen – doch darauf verzichtet Mühlbradt.

Für ihn ist es ein unmöglicher Vorgang: Mit Thomas Kemmerich lässt sich ein FDP-Mann zum Ministerpräsidenten in Thüringen wählen – mit den Stimmen der AfD. „Ich rege mich mächtig darüber auf“, gibt Mühlbradt zu: Auch Tage nach dieser Wahl ist er sichtlich bewegt. Zwar werde behauptet, die FDP im thüringischen Landtag sei der AfD „in die Falle gelaufen“. Doch der Vechelder mag das nicht glauben, denn: Wie zu hören sei, sei die Strategie der AfD – im dritten Wahlgang komplett Kemmerich die Stimmen zu geben und nicht dem eigenen Kandidaten Christoph Kindervater (parteilos) – zuvor durchgesickert, so dass die FDP hätte wissen müssen, was passieren werde.

Mühlbradt spricht von einem „Fiasko für die FDP und Demokratie“. Gerade die FDP habe sich bislang immer eindeutig gegen Rechts- und Linksaußen abgegrenzt, und nun werde ausgerechnet ein Liberaler von der AfD – Mühlbradt zufolge sind das „rechtsradikale Kräfte“ – gewählt. „In der Politik geht es um Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit“, ist der 69-Jährige überzeugt. Und das habe die FDP mit dieser Ministerpräsidentenwahl verloren, auch wenn Kemmerich im Nachhinein seinen Rücktritt erklärt habe.

Kemmerichs Verzicht auf den Ministerposten sei aber nur der Versuch, „im Nachhinein noch etwas zu heilen“, glaubt Mühlbradt – doch das reicht ihm nicht: „Ich hätte mich gefreut, wenn Christian Lindner angesichts dieses Skandals von seinem Posten als Bundesvorsitzender der FDP zurückgetreten wäre – das hätte ich als eindeutiges Zeichen dafür gewertet, dass jemand die Verantwortung übernimmt.“ Und das wäre auch ein „Beweis“ dafür gewesen, dass es die FDP ehrlich meine mit der Angrenzung gegenüber „einer Partei, die mit Björn Höcke jemanden an ihrer thüringischen Spitze hat, der ungestraft als ,Faschist’ bezeichnet werden darf“.

Im Gedächtnis bleibt Mühlbradt, dass Höcke Kemmerich zu dessen Wahl zum Ministerpräsidenten auch noch gratuliert hat: „Ich habe mich erinnert an die Glückwünsche, die Adolf Hitler 1933 für seine Wahl zum Reichskanzler erhalten hat.“ Für den Vechelder steht fest: „Die Entscheidung in Thüringen führt dazu, dass das Image der FDP für lange Zeit mit der Nähe zu rechtsradikalen Kräften in Verbindung gebracht wird.“

Aus Mühlbradts Sicht hat die FDP bei dieser Ministerpräsidentenwahl mindestens zwei Fehler gemacht: Zum einen sei es „abenteuerlich“ gewesen, dass die FDP – sie hat die Fünf-Prozent-Hürde bei der Landtagswahl in Thüringen nur knapp geschafft – überhaupt einen Ministerpräsidentenkandidaten aufbiete; zum anderen hätte Kemmerich seine Wahl dann gar nicht erst annehmen dürfen. „Natürlich muss es in Thüringen Neuwahlen geben“, ist Mühlbradt überzeugt. Dass die FDP nun bundesweit und in Thüringen in den Umfragen „abgewatscht“ werde, nennt Mühlbradt „gerecht“; in Thüringen bliebe der FDP nach jetzigem Stand der Einzug in den Landtag versagt. Für die Übergangszeit bis zur Neuwahl muss der thüringer Landtag nach Überzeugung des Vechelders Bodo Ramelow (Linke) zum Ministerpräsidenten bestimmen.

Karl-Heinz Mühlbradt ist 1980 in die FDP eingetreten: Von 1981 bis 1991 war er Vorsitzender des FDP-Gemeindeverbands Vechelde, von 1991 bis 1996 Mitglied im Ortsrat Vechelde/Vechelade und im Vechelder Gemeinderat, von 1996 bis 2001 hat er dem Ortsrat angehört. Als politische Vorbilder nennt der frühere technische Angestellte bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig drei FDP-Größen: Hildegard Hamm-Brücher, Gerhart Baum und Hans-Dietrich Genscher.

Der Peiner FDP-Kreisverbandsvorsitzende Holger Flöge bedauert, dass Mühlbradt mit dem Parteiaustritt „seine 40-jährige Überzeugung wegen eines bedauerlichen Anlasses über Bord wirft“. Es sei „legitim“, gewesen, dass Kemmerich für den Ministerpräsidentenposten angetreten sei, um dieses Feld nicht den Links- und Rechtsaußen zu überlassen. Zum Verzicht auf das Ministerpräsidentenamt sei es nicht zuletzt dank des Einsatzes von Lindner gekommen, so dass Flöge Rücktrittsforderungen gegen den FDP-Bundesvorsitzenden nicht für angemessen hält. Der FDP-Kreisverband hat Flöge zufolge 47 Mitglieder: Mühlbradt sei der Einzige, der wegen „Thüringen“ ausgetreten sei. „Ich habe mir meinen Parteiaustritt nicht leicht gemacht, aber für mich hat die FDP eine Grenze überschritten“, stellt Mühlbradt hingegen fest.