Vechelde. Kurt Steffens ist bei der Beerdigung auf dem Soldatenfriedhof in Russland dabeigewesen – sein Vater ist 1941 in dem Land gefallen.

Bewegende Momente, die sogar auf den Fotos spürbar werden: Kurt Steffens steht am Massengrab mit einem Pappsarg in der Hand. Am Grab im fernen Russland, in dem sein Vater seine letzte Ruhe gefunden hat – nach fast 78 Jahren. Emil Steffens – der Vater, den Kurt Steffens nie kennengelernt hat – ist im Oktober 1941 als deutscher Soldat in Russland gefallen.

Mit dieser Massenbeerdigung auf dem deutsch-russischen Soldatenfriedhof in Rshew in Russland endet für Kurt Steffens eine jahrzehntelange emotionale Odyssee: „Ich habe nie daran geglaubt, das Grab meines Vaters zu finden“, gibt der Vechelder heute ehrlich zu. Trotzdem: Zumindest die Hoffnung muss der 77-Jährige gehabt haben, denn seit sage und schreibe 1991 ist er mit seiner Frau Elke Steffens auf der Suche nach seinem Vater gewesen. Im vergangenen Jahr hat das Ehepaar die Stelle gefunden, an der Emil Steffens im Kampf erschossen worden ist – in einem kleinen russischen Dorf namens Talutino zwischen Rshew und Twer. Geglückt ist das durch die Hartnäckigkeit des Ehepaars, aber auch mit Hilfe des Volksbunds deutsche Kriegsgräberfürsorge sowie eines Fotos, das Kurt Steffens Mutter Anni Steffens im Zweiten Weltkrieg erhalten hat und das die Gräber der Deutschen in Talutino zeigt. „Dort, wo mein Vater gefallen ist, sieht es inzwischen aber ganz anders aus“, schildert Kurt Steffens. Bei der Suche nach den Soldaten werden aber auch Zeitzeugenberichte, alte Luftaufnahmen sowie Militärkarten aus deutschen und russischen Beständen zurate gezogen.

Ein dickes Lob zollt Kurt Steffens, der als biologisch-technischer Assistent bei der Forschungsanlage für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig gearbeitet, hat den russischen Suchtrupps, die in Talutino die sterblichen Überreste von 91 deutschen Soldaten – darunter die von Emil Steffens – ausgegraben haben. „Die russischen Brigadenleute sind mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorgegangen“, freut er sich. Mit Eisenstangen haben sie in den Erdboden gestochen, haben so Verdichtungen und Hohlräume im Erdreich festgestellt und dann im Verdachtsfall mit dem Spaten gegraben. Als eine „Suche im Heuhaufen“ bezeichnet das Steffens. Zudem setzen sie Metalldetektoren ein, um weitere Hinweise auf die Toten wie Erkennungsmarken aufzuspüren – und finden dabei beispielsweise auch Patronen. „Ich habe Patronen aus dem Zweiten Weltkrieg von einer Munitionsfabrik in Wolfenbüttel bekommen“, setzt Steffens hinzu.

In Plastiksäcken werden die sterblichen Überreste wie Gebeine zum Lager des Soldatenfriedhofs in Rshew gebracht, dort vermessen und zugeordnet: Bei den 91 Gefallenen von Talutino dauert das – und zwar mehr als ein Jahr. Nun also die Beisetzung auf diesem Friedhof, bei der Elke und Kurt Steffens dabei gewesen sind: Ein Bagger hat einen etwa 20 Meter langen und zwei Meter breiten Graben ausgehoben, in dem die 91 Pappsärge – jeder etwa einen halben Meter lang – in zwei Reihen und einmal gestapelt aufgereiht worden sind. „In welchem Sarg die Überreste meines Vaters liegen, weiß ich nicht“, berichtet Kurt Steffens; er hat aber Verständnis dafür, dass es keine weitergehenden Untersuchungen gibt, um die genaue Identitäten der Soldaten festzustellen – „das würde zu viel Zeit und zu viel Geld kosten“.

Nelken und Erde hat Kurt Steffens auf den Särgen verteilt, ein stilles Innehalten aller Beteiligten – dann hat ein Bagger das Massengrab wieder mit Erde zugedeckt: Sechs Stunden hat die Bestattung gedauert. „Bewegend“, sagt er noch mal – und auch froh, dass die Suche beendet ist und sein Vater die letzte Ruhestätte gefunden hat. Auf den vielen Stelen auf dem Soldatenfriedhof Rshew – 2002 eingeweiht und inzwischen Ort für mehr als 40.000 deutsche und russische Soldaten – stehen die Namen der Opfer, darunter der von Emil Steffens. Und im Dokumentationshaus des Friedhofs sind ebenfalls die Namen in einem Buch festgehalten – zusammen mit der Angabe des dazugehörigen Massengrab: „Block 14“ ist es bei Emil Steffens.