Peine. Bei den „Wochen der seelischen Gesundheit“ liest Eva Wlodarek aus ihrem Buch „Einsam. Vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl“ vor.

Mit Depressionen im Allgemeinen und Einsamkeit im Besonderen befassen sich die „Peiner Wochen der seelischen Gesundheit“. Eine von vielen Veranstaltungen ist die Lesung, die Dr. Eva Wlodarek aus Hamburg am Mittwoch nächster Woche in der Peiner Buchhandlung Thalia gibt – dabei stellt die Psychologin und Autorin ihr Buch „Einsam. Vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl“ vor. Claudia Brasse vom „Peiner Bündnis gegen Depressionen“, das die Gesundheitswochen organisiert hat, hat mit Eva Wlodarek gesprochen.

Ist Einsamkeit (heute noch) ein Tabu Thema?

Gerade in der heutigen Zeit ist es fast ein Statussymbol, beliebt zu sein und viele Kontakte zu haben. Einsamkeit erscheint da als persönlicher Makel, nach dem Motto: Wer einsam ist, mit dem muss ja etwas nicht stimmen, schließlich schaffen es doch alle anderen auch, glücklich zu sein, zu zweit zu sein oder gute Freunde zu haben. Deshalb wird die Einsamkeit häufig von den Betroffenen überspielt, etwa durch jede Menge Aktivitäten oder scheinbares „Gut-drauf-sein“. Tatsächlich besteht kein Grund, Einsamkeit zu verleugnen, denn Phasen der Einsamkeit gehören zum Leben.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich dem Thema Einsamkeit zu widmen?

Mich interessieren die großen Themen des Lebens. Deshalb habe ich auch meine Doktorarbeit über Glücklichsein geschrieben. Einsamkeit ist ebenfalls ein Thema, das jeden von uns irgendwann betrifft. Ich habe sie jedenfalls auch selbst kennengelernt. Als Psychologin möchte gerne ganz praktische Hilfsmittel weitergeben, mit denen man die Einsamkeit verringern oder beenden kann.

Wer ist einsam – welche Bevölkerungsgruppe ist häufig einsam und warum?

Einsamkeit gibt es in sämtlichen Altersgruppen. Schließlich hängt sie auch von der einzelnen Persönlichkeit ab. Aber wie Studien zeigen, sind besonders Jugendliche und alte Menschen ab 80 davon betroffen. In der Mitte des Lebens ist es die Altersgruppe von 40 bis 49 Jahren, die oft darunter leidet. Grund dürfte in der Jugend die emotionale Unsicherheit sein. Im hohen Alter sind Partner und Freunde oft schon verstorben oder man ist nicht mehr mobil. Und im mittleren Alter könnte es an der hohen Belastung im Beruf und der Familie liegen.

Was ist der Unterschied zwischen allein sein und einsam sein? Wo hört allein sein auf, und wo fängt (kritisch erlebte) Einsamkeit an?

Einsamkeit wird oft mit Alleinsein verwechselt, dabei ist es etwas völlig anderes. Ob wir allein sind, kann jeder von außen sehen. Einsamkeit dagegen ist eine schmerzhafte Empfindung, wir fühlen uns innerlich isoliert. Das ist sogar unabhängig davon, ob Menschen um uns herum sind oder nicht. Einsamkeit als Grundgefühl kann auch quälen, wenn wir einen Partner, Familie oder einen großen Bekanntenkreis haben. Meist jedoch leiden wir darunter, wenn wir tatsächlich zu wenig Kontakt haben. So lange wir uns allein wohlfühlen, ist es in Ordnung. Kritisch wird es, wenn wir nicht mehr die innere Freiheit oder die äußere Möglichkeit haben, andere Menschen zu treffen. Dann schlägt Alleinsein in Einsamkeit um. Ob das der Fall ist, kann jeder leicht für sich feststellen: Selbstgewähltes Alleinsein tut gut, Einsamkeit schmerzt.

Gibt es auch positive Seiten der Einsamkeit?

Wie körperlicher Schmerz macht uns Einsamkeit darauf aufmerksam, dass wir etwas in uns oder unserer Umgebung verändern müssen. Vielleicht sollen wir lernen, offener zu werden, weniger egozentrisch zu sein, nicht länger zu trauern, öfter auszugehen – was auch immer der Grund unserer Einsamkeit ist. Oder wir brauchen mehr Mut, andere anzusprechen. Eventuell zeigen wir auch Verhaltensweisen, die andere abschrecken. Möglicherweise lehrt sie uns auch Geduld. Die Einsamkeit kann uns jedenfalls zur Selbsterkenntnis motivieren. Von daher ist sie nicht nur ein Übel, sondern ein Wegweiser. Wenn wir das erkennen, können wir nicht nur die Einsamkeit überwinden, sondern als Persönlichkeit sogar an ihr wachsen.

Was kann man gegen Einsamkeit tun?

Man sollte nicht darauf warten, dass man von anderen aus der Einsamkeit erlöst wird, sondern selbst die Verantwortung übernehmen. Was genau zu tun ist, hängt von den Ursachen der Einsamkeit ab. Für tief liegende Gründe wäre möglicherweise eine Psychotherapie sinnvoll. Bei äußeren Gründen hilft ein konkreter Plan: Zunächst formulieren, was genau man möchte – zum Beispiel einen Freundeskreis, einen Partner, Begleitung für ein Hobby – und dann konsequent an der Umsetzung arbeiten, ähnlich wie für ein Projekt im Job. Ein Tipp, der für alle Fälle funktioniert: Geben Sie zuerst, was Sie haben möchten, seien es Einladungen oder Zuwendung. Das erhöht die Chance, es auch selbst zu bekommen.

Wie beurteilen Sie die Brisanz der Thematik heutzutage? Brauchen wir in Deutschland – ähnlich dem Vorbild in Großbritannien – ein Ministerium gegen Einsamkeit?

Einsamkeit ist eines der dringlichsten Themen unserer Zeit. Das hängt mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen. Sicher war bei früheren Generationen auch nicht alles Gold, manche Konventionen und starre Regeln haben einsam gemacht. Aber es gab eben auch große Familien. Heute wird Einsamkeit durch Einzelhaushalte, Mobilität im Job, schnellere Trennungen in der Partnerschaft und ein hohes Alter schon äußerlich begünstigt – von psychischen Bedingungen wie Stress oder Depressionen einmal ganz abgesehen. Ein Ministerium gegen die Einsamkeit könnte immerhin die Angebote gegen Einsamkeit koordinieren. Vor allem aber würde damit offiziell, dass Einsamkeit kein Einzelschicksal ist.

Das Programm der „Peiner Wochen der seelischen Gesundheit“:

• Sonntag, 13. Oktober: ökumenischer Gottesdienst (Petra Zappe/katholische Kirchengemeinde und Markus Lenz/evangelische Kirchengemeinde) zum Thema Einsamkeit. Friedenskirche in Peine, Gunzelinstraße 29c. 10 Uhr.

• Dienstag, 15. Oktober: Das „Trialog-Forum seelische Gesundheit“ lädt ein zum Thema Psychose. Impuls vom AWO-Psychiatriezentrum Königslutter zu Behandlungsmöglichkeiten. Austausch zwischen Betroffenen, Angehörigen und Profis. Gemeindehaus Friedenskirche in Peine, Eichendorffstraße 6. 18 bis 20 Uhr.

• Mittwoch, 16. Oktober: Vortrag/Lesung mit Dr. Eva Wlodarek (Hamburg) aus ihrem Buch „Einsam: vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl“. Buchhandlung Thalia in Peine, Breite Straße 8. 19.30 Uhr (Einlass ab 19 Uhr). Anmeldung erwünscht und Infos unter buendnis-depressionen@landkreis-peine.de per Mail.

• Donnerstag, 17. Oktober: Vortrag und Austausch über „Sind Männer einsame Wölfe? – Männer und Kommunikation“. Vortragsveranstaltung und Diskussionsrunde mit Dirk Böhnstedt von der Tagesklinik für Männer in der Klinikum Wahrendorff. Arcus in Peine, Ilseder Straße 39. 18 Uhr.

• Der Eintritt ist überall frei, um Spenden wird am 16. und 17. Oktober gebeten. Eine Anmeldung ist nur am 16. Oktober wünschenswert.