Berlin. Die antike Kuschana-Schrift gab der Forschung lange Zeit Rätsel auf. Jetzt ist es einigen Forschern gelungen, das Mysterium zu lösen.

  • Lange gab die Kuschana-Schrift der Wissenschaft Rätsel auf
  • Nun ist es einigen Nachwuchs-Forschenden gelungen, das Mysterium zu lösen
  • Den Durchbruch brachte ein neuer Fund

Es ist ein ungewöhnlicher Fall: Einem Team von Nachwuchswissenschaftlern der Universität zu Köln ist es gelungen, eine Schrift zu entziffern, die der Wissenschaft seit mehr als siebzig Jahren ein Rätsel ist: die unbekannte "Kuschana-Schrift".

Bereits in den 1950er Jahren entdeckten Forscher in Tadschikistan, Afghanistan und Usbekistan mehrere kurze Inschriften des Kuschana-Reiches. Die Texte konnten damals jedoch nicht entziffert werden, da zu wenige Texte aus der Kuschana-Zeit vorlagen. Ein neuer Fund brachte den Durchbruch.

Fundort der Bilingue in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan.
Fundort der Bilingue in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan. © Bobomullo Bobomulloev

Rätsel der Wissenschaft: Die Sprache des Kuschana-Reiches

Die Kuschana-Schrift ist ein Schriftsystem, das zwischen etwa 200 v. Chr. und 700 n. Chr. in Teilen Zentralasiens in Gebrauch war und sowohl mit frühen Nomadenvölkern der eurasischen Steppe als auch mit der Herrscherdynastie der Kuschana in Verbindung gebracht werden kann.

Letztere waren nicht nur für ihre kulturellen und künstlerischen Aktivitäten bekannt, sondern unterhielten auch wichtige Handelsbeziehungen bis nach Rom und China und spielten eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des Buddhismus in ganz Asien.

Linguisten entziffern unbekannte Kuschana-Schrift aus der Antike

Eine neu entdeckte Inschrift in der Almosi-Schlucht im Nordwesten Tadschikistans ermöglichte den Sprachwissenschaftlern um Svenja Bonmann die Entzifferung der Kuschana-Schrift, wie sie in der Fachzeitschrift Transactions of the Philological Society berichten. Ihnen zufolge enthält der eingeritzte Text eine kompakte Passage in griechisch-baktrischer Sprache sowie einen Abschnitt mit den unbekannten Kuschana-Glyphen.

Der Titel
Der Titel "König der Könige", links auf dem Fund aus Tadschikistan, rechts dem aus Afghanistan. Es ist einer der Abschnitte, der zur "Kettenreaktion" führte, die dann die Entschlüsselung weiterer Schriftzeichen ermöglichte. © Bobomullo Bobomulloev, Collège de France, Natalie Korobzow

Die baktrische Schrift umfasst sowohl den Königsnamen Vema Takhtu als auch den Titel "König der Könige". Diese Namen finden sich auch in einem dreisprachigen Text, der in den 1960er Jahren in Afghanistan entdeckt wurde. Dadurch konnten die Wissenschaftler die entsprechenden Schriftzeichen der Kuschana erkennen und den umgebenden Schriftzeichen Buchstaben zuordnen.

Archäologie: 60 Prozent der Kuschana-Schrift entziffert

Insgesamt konnte das Team um Bonmann 15 Konsonanten, vier Vokale und zwei Ligaturen entziffern, was etwa 60 Prozent der bekannten Kuschana-Glyphen entspricht. Angesichts der Ähnlichkeiten in Schreibweise, Lauten und Symbolen gehen die Forscher davon aus, dass es sich bei der Kuschana-Schrift um eine abgewandelte Form der im altpersischen Achämenidenreich verwendeten aramäischen Schrift handeln könnte. Die aramäische Schrift entstand um 900 v. Chr. und war von Kleinasien bis nach Indien verbreitet. Sie bildet die Grundlage für viele moderne Schriften wie Arabisch und Hebräisch.

Nahaufnahme des Fundes von 2022 in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan.
Nahaufnahme des Fundes von 2022 in der Almosi-Schlucht in Tadschikistan. © Bobomullo Bobomulloev

Neue Entdeckung bringt besseres Verständnis der Kuschana-Kultur

Darüber hinaus konnte das Forscherteam die Sprache identifizieren, in der die Kuschana-Schrift verfasst wurde: Demnach könnte es sich um eine bisher unbekannte Variante der in der Antike verwendeten mitteliranischen Sprachen handeln. Die vorläufig als "Eteo-Tocharisch" bezeichnete Sprache könnte neben Baktrisch, Sanskrit und Gandhari eine der Landessprachen des Kuschana-Reiches gewesen sein.

Für die Zukunft planen die Kölner Sprachwissenschaftler gemeinsam mit tadschikischen Archäologen Forschungsreisen nach Zentralasien, um anhand weiterer Inschriften die Sprach- und Kulturgeschichte dieser Region noch besser zu verstehen, schreiben die Forscher auf der Homepage der Universität zu Köln.