Berlin. Nach der Explosion in einem Hochhaus in Ratingen herrscht weiter Entsetzen. Hunderte Menschen zeigten am Sonntag ihre Solidarität.

Bei einer heftigen Explosion in einem Hochhaus in Ratingen sind am Donnerstag (11. Mai) viele Einsatzkräfte schwer verletzt worden. Noch am selben Tag konnte die Polizei den Inhaber der Wohnung stellen. Spezialeinsatzkräfte hätten die Wohnung gestürmt und einen 57 Jahre alten Mann festgenommen, sagte eine Polizeisprecherin am Donnerstag vor Ort. Er soll die Beamten gezielt angegriffen haben. Gegen den 57-Jährigen wurde am Freitag ein Haftbefehl wegen wegen versuchten Mordes in neun Fällen erlassen.

In Ratingen haben am Sonntag mehr als 800 Menschen an einer Solidaritätskundgebung für die Verletzten teilgenommen. Zahlreiche Kerzen wurden aufgestellt. Zu der Kundgebung und Mahnwache auf dem Marktplatz am Samstag hatte eine Ratinger Bürgerin aufgerufen.

Polizei und Staatsanwaltschaft bezeichnen die Tat als heimtükisch. Diese sei zudem mit "gemeingefährlichen Mitteln" verübt worden. Nach den aktuellen Erkenntnissen wurden am Donnerstag zehn Feuerwehrleute und zwei Polizeibeamte zum Teil sehr schwer verletzt, zahlreiche weitere Beamten hatten leichte Verletzungen davongetragen. Alle lebensgefährlich Verletzten überlebten auch die dritte Nacht nach dem mutmaßlichen Mordanschlag, berichtete ein Polizeisprecher in Düsseldorf am Sonntag.

Nach Explosion in Ratingen: Weiteres Todesopfer entdeckt – was aktuell bekannt ist

Kurz nach der Festnahme des Wohnungsinhabers fand die Polizei in dessen Wohnung eine weibliche Leiche. Ob es sich bei der toten Frau um die 91-jährige Mutter des 57-jährigen Verdächtigen handelt, sei weiterhin nicht abschließend geklärt. Die Frau war bereits mehrere Wochen tot, den Einsatzkräften war starker Verwesungsgeruch aufgefallen.

Am Freitag wurde bekannt, dass in dem Haus zudem ein zweites Todesopfer entdeckt wurde. Der Polizei zufolge sei ein älterer Mann gestorben, der in einem anderen Stockwerk des Hochhauses gelebt habe. Der "Spiegel" berichtete unter Berufung auf vertrauliche Dokumente der Ermittelnden, dass der Mann auf stündliche Pflege angewiesen gewesen sei.

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Aufgrund des Großeinsatzes sei das Pflegepersonal jedoch nicht bis zur Wohnung gekommen. Rettungskräfte hätten später nur noch den Tod feststellen können. Von Polizei und Staatsanwaltschaft hieß es am Freitag, ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Todesfall und dem Einsatz sei derzeit noch Gegenstand der Ermittlungen.

Vertreter von Polizei und Feuerwehr sitzen bei einer Pressekonferenz am Tisch. Einen Tag nach der Explosion werden neue Details bekannt.
Vertreter von Polizei und Feuerwehr sitzen bei einer Pressekonferenz am Tisch. Einen Tag nach der Explosion werden neue Details bekannt. © Federico Gambarin/dpa

Ratingen (NRW): Haftbefehl gegen Tatverdächtigen

Das Motiv des Tatverdächtigen ist derzeit noch unklar. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen versuchten Mordes in neun Fällen erlassen. Der Mann wurde am Freitagnachmittag einem Haftrichter vorgeführt. In einer Befragung habe er sich noch nicht zu den Tatvorwürfen geäußert, so die Polizei. Ebenso habe der Mann auf anwaltlichen Beistand verzichtet. Ihm sei ein Pflichtverteidiger an die Seite gestellt worden.

Explosion in Ratingen: Das sagt eine Polizeisprecherin zur Lage

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    Fest steht: Der 57 Jahre alte Tatverdächtige war den Behörden bereits bekannt. Gegen ihn habe laut Staatsanwaltschaft wegen eines nicht gezahlten Geldbetrags ein Vollstreckungshaftbefehl vorgelegen. Er habe auch Voreintragungen, "aber nichts Einschlägiges, nichts Vergleichbares".

    Ein Polizist hatte die Wohnung wenige Tage zuvor wegen des Haftbefehls aufsucht. Der Ratinger sollte eine Haftstrafe antreten. Weil niemand öffnete, war der Beamte wieder gegangen. Da der Briefkasten der Wohnung nicht mehr geleert wurde und überquoll, hatte die Vermieterin einige Tage später die Polizei gebeten, nach dem Rechten zu sehen. Möglicherweise war der 57-Jährige davon ausgegangen, dass er verhaftet werden sollte, die Einsatzkräfte waren hingegen auf dem Weg zu einer "hilflosen Person".

    Polizisten sichern den Tatort in einem Hochhaus am Tag der Explosion.
    Polizisten sichern den Tatort in einem Hochhaus am Tag der Explosion. © Roberto Pfeil/dpa

    Explosion wohl gezielter Angriff auf die Einsatzkräfte

    Als Polizei und Feuerwehr vor der Wohnungstür im 10. Stock standen, riss der 57-jährige Sohn der Frau plötzlich die Tür auf. Es kam zu einer Explosion, ein Feuerball traf die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei.

    Dadurch seien laut Polizei eine 25-jährige Polizistin und ein 29-jähriger Polizist lebensgefährlich verletzt worden. "22 weitere trugen leichte Verletzungen davon", hieß es. Außerdem seien sieben Einsatzkräfte der Feuerwehr schwer verletzt worden, drei davon lebensgefährlich.

    Es habe sich bei der Explosion um eine gezielte Attacke auf die Einsatzkräfte gehandelt, teilte die Polizei am Freitag mit. Der Bewohner soll gezielt eine brennende Flüssigkeit auf die Kräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst geschleudert haben, so Dietmar Henning von der Polizei Düsseldorf. "Die Einsatzkräfte haben dann, selber brennend, den Ort verlassen."

    Am Tatort machte sich auch Innenminister Herbert Reus (CDU, r), ein Bild von der Lage.
    Am Tatort machte sich auch Innenminister Herbert Reus (CDU, r), ein Bild von der Lage. © -/dpa

    An dem Großeinsatz waren schließlich Dutzende Rettungswagen, Notärzte, Feuerwehrwehrautos und Polizeifahrzeuge beteiligt. Spezialkräfte sicherten das gesamte Hochhaus ab, auf den Balkonen der gegenüberliegenden Wohnungen brachten sich Scharfschützen in Stellung.

    War der Tatverdächtige ein Corona-Leugner?

    Ratingens Bürgermeister Klaus Pesch äußerte sich entsetzt. "Diejenigen, die vorne im Feuer standen – das sind zehn bis zwölf Leute mit massivsten Verbrennungen – und die das hoffentlich überleben, werden das mit Sicherheit für den Rest ihres Lebens mit sich tragen", sagte er. Einige Opfer hätten schwerste Verbrennungen von bis zu 80 Prozent der Hautfläche. "Da ist wirklich Hoffen und Bangen."

    Neben dem Motiv gibt auch der Hintergrund des Mannes Rätsel auf. NRW-Innenminister Reul sagte am Donnerstag, er habe sich "im Corona-Leugner-Umfeld gedanklich aufgehalten". Dies hätten erste Recherchen in sozialen Medien ergeben.

    Die SPD-Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag kündigte an, wegen des Falls eine Sondersitzung des Innenausschusses zu beantragen. So will deren innenpolitische Sprecherin Christina Kampmann wissen, ob die Einsatzkräfte, die am Donnerstag zu einer „hilflosen Person“ gerufen wurden, darüber informiert wurden, dass dort ein Gewalttäter wohnt, gegen den ein Haftbefehl vorlag.

    Nach Angaben der Ermittlerinnen und Ermittler soll er außerdem der Prepper-Szene angehören. Die Wohnung habe den Eindruck gemacht, dass viele Vorräte angelegt worden seien. Zudem ließen Ermittlungen den Eindruck zu, dass der Mann zurückgezogen gelebt habe. Ob dies im Zusammenhang mit der Tat steht, ist bisher noch unklar.

    In dem Haus wurden außerdem mehrere Waffen gefunden. Eine PTB-Waffe sowie mehrere Messer und Dolche seien sichergestellt worden, sagte die Polizei Düsseldorf am Freitag. Außerdem sei ein Gefäß gefunden worden, aus dem der Verdächtige die brennbare Flüssigkeit auf die Einsatzkräfte geschleudert haben soll. (pcl/lro/csr/dpa)