Braunschweig. Sie hat den Nordpol zu Fuß erreicht und die Arktis in ihr Herz geschlossen. Outdoor-Frau Birgit Lutz will verhindern, dass diese Region untergeht.

Die Frage, was jeder Einzelne zur Rettung der Erde beitragen kann, beantworten manche Menschen mit erstaunlicher Entschlossenheit. Birgit Lutz ist ein Beispiel dafür. Die 48-Jährige vom Schliersee hat ihren Job als Journalistin in Diensten der Süddeutschen Zeitung vor Jahren aufgegeben und ihr Leben umgekrempelt, um sich als Expeditionsleiterin, Vortragsreisende und Buchautorin für den Erhalt der Arktis einzusetzen. Ein Engagement, das ihr eine Mitgliedschaft im erlesenen „Explorers Club“ in New York eingetragen hat, dem legendäre Abenteurer wie der Südpol-Bezwinger Roald Amundsen und der Mount-Everest-Erstbesteiger Sir Edmund Hillary angehört haben.

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Die Autorin Birgit Lutz unternimmt immer wieder Expeditionen in der Arktis. Zweimal wanderte sie zum Nordpol. Dieses Foto entstand bei ihrem Marsch zum Pol in Begleitung des Schweizers Thomas Ulrich im April 2010. 
Die Autorin Birgit Lutz unternimmt immer wieder Expeditionen in der Arktis. Zweimal wanderte sie zum Nordpol. Dieses Foto entstand bei ihrem Marsch zum Pol in Begleitung des Schweizers Thomas Ulrich im April 2010.  © Privat | Privat

Wie es sich für einen Outdoor-Podcast gehört, geht es in der aktuellen Folge von „Draußen“ zunächst um die Frage nach der Vorbereitung auf den ersten Marsch zum Nordpol, den Birgit Lutz im Jahr 2010 mit dem Schweizer Polarexperten Thomas Ulrich auf Skiern unternommen hat. Ihr Ausgangspunkt damals – und ein Jahr später bei einer Wiederholung – war die russische Drifteisstation Barneo, die als nördlichstes Forschungslager der Welt gilt. „Ich wusste, um zum Nordpol zu marschieren, da muss ich ordentlich zulegen konditionsmäßig“, sagt Lutz in unserem Podcast-Interview. Den sehr engmaschigen Trainingsplan habe sie sich neben den Spiegel im Badezimmer geklebt. „Damit ich ihn beim Zähneputzen immer sehe und ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich etwas nicht gemacht habe.“

Jedes Wochenende sei sie in den Bergen unterwegs gewesen, auf Skitouren. „Das ist das allerbeste Ausdauertraining, das man für so etwas machen kann“, meint Lutz. „Während der Woche war ich auch mindestens einmal auf Skitour in der Früh, vor der Arbeit, da habe ich ja noch Vollzeit bei der SZ gearbeitet, und am Abend bin ich entweder noch 10 bis 14 Kilometer gelaufen oder zwei Kilometer geschwommen. Oder ich habe Krafttraining gemacht, denn ich war eigentlich viel zu schwach. Ich musste echt meine Muskeln trainieren. Ein Tag in der Woche war Pause.“

Um sich auf die Kälte am Nordpol vorzubereiten, ist Birgit Lutz in ihrer bayerischen Bergheimat so viel wie möglich draußen gewesen, wenn es klirrend kalt war. „Oft ganz oben in den Bergen, weil es dort noch kälter ist“, erzählt die Arktis-Kennerin. Das Wichtigste beim Thema Kälte sei die Einstellung. „Wenn man sich so richtig reinwirft und der Kälte etwas Schönes abgewinnen kann, dann ist es schon nicht mehr so kalt, als wenn man immer so vor sich hinfröstelt und die Schultern zusammenzieht“, lautet ihre Kernempfehlung.

Dieses Foto zeigt Birgit Lutz bei ihrer Grönland-Durchquerung.
Dieses Foto zeigt Birgit Lutz bei ihrer Grönland-Durchquerung. © Privat | Privat

Entdeckerdrang und Unternehmungslust blieben für Birgit Lutz nicht lange die alleinigen Antriebsfedern. Die Veränderungen in der Arktis – ökologisch und soziokulturell – wurden bald zum beherrschenden Thema für sie. Bei ausgedehnten Grönlandreisen konnte sie den negativen Einfluss der Globalisierung auf die Bevölkerung beobachten. „Die Moderne geht nicht so gut um mit diesen Menschen. Was nicht so sehr an der Moderne liegt, sondern daran, wie schnell sie über die Menschen kommt“, berichtet Lutz im „Draußen“-Podcast unserer Zeitung. „Wenn man es dramatisch ausdrücken möchte, sind diese Menschen noch in der Steinzeit aufgewachsen, als man von der Jagd lebte. Die sind jetzt 60 Jahre alt und haben ein iPhone. Das kann nicht gut gehen.“

Der dänische Staat habe das Geldsystem nach Grönland gebracht, aber keine Arbeit. „Die einzige Arbeit, die die Menschen hatten, das Jagen und das Felle-Verkaufen, ist durch Umweltschutzorganisationen zerstört worden“, bezieht Birgit Lutz eindeutig Stellung. „Wir können zwar mit gutem Gewissen unsere Massentierhaltung machen, aber die Grönländer dürfen keine Robbenfelle verkaufen.“ Die einzige Einnahmequelle sei vernichtet worden, ohne im Gegenzug Arbeitsplätze zu schaffen. „Das bedeutet, dass diese Menschen auf Staatshilfen angewiesen sind, was ja nirgends zu einem erhöhten Selbstbewusstsein führt. Es kommt zu den üblichen Problemen: Alkoholismus und Gewalt. Und das ist dort besonders problematisch, weil vor 60, 70 Jahren war das eine sehr friedliche Gesellschaft.“

Ihr größtes Augenmerk legt Birgit Lutz inzwischen auf die Belastung des Ökosystems Arktis durch Plastikmüll. Teilnehmer ihrer Reisen nach Spitzbergen lädt sie regelmäßig zum Müllsammeln an den Küsten ein. Daraus ist ein Citizen Science-Projekt in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung in Bremerhaven entstanden. Die Wissenschaftler dort analysieren den nach einem festen Schema eingesammelten Müll. Über die Ergebnisse sagt Lutz: „Man weiß jetzt, dass auf Spitzbergen so viel Müll herumliegt wie in den dicht besiedelten Gebieten Europas oder Südchinas. Wir haben die Plastikverschmutzung gleichmäßig über den ganzen Globus ausgespannt. Auf Spitzbergen leben nicht viele Leute, der Müll kommt mit der Meeresströmung dorthin.“

Abenteurer Arved Fuchs- Klimawandel legt keine Pause ein

Mehrere wissenschaftliche Publikationen seien dazu bereits erstellt worden, das freue sie sehr, sagt Lutz im Podcast. „Sie werden verwendet, wenn jetzt bei den Vereinten Nationen ein Plastikvertrag ausgehandelt werden soll.“ Die Studien spielten eine große Rolle für alle Versuche, den Plastikeintrag in die Meere zu stoppen oder zu minimieren. „Das ist die wissenschaftliche Seite. Und die menschliche Seite ist, dass die Gäste nachhaltig entsetzt sind, wenn sie sehen, wie es auf Spitzbergen aussieht und noch entsetzter sind sie, wenn wir das alles auf einem Haufen haben und zählen. Da haben wir auf einem halben Fußballfeld 8000 Stück Müll. Das macht schon etwas mit den Leuten. Man kann sehr viel Bewusstsein damit schaffen.“

Endzeitstimmung zu verbreiten, liegt der 48-Jährigen fern, deren aktuelles Buch „Nachruf auf die Arktis“ gerade erschienen ist. Sie möchte den Menschen Mut machen, wenn es um die Bedrohung durch Erderwärmung und globale Umweltzerstörung geht. „Die Leute dürfen sich von diesem riesengroßen Thema nicht unterkriegen lassen, das so übermächtig erscheint. Es gibt immer wieder Lichtblicke am Horizont, wo man sagen kann, jetzt tut sich was.“

Was jeder von uns tun kann, um die Belastung von Umwelt und Klima zu verringern, wo sie allerdings auch die Grenzen dafür sieht und welche Strategie sie für unbedingt erforderlich hält, das erläutert Birgit Lutz in einem ausführlichen „Draußen“-Gespräch (auch bei Spotify, Apple Podcast und Co.)