Bremen. Eine junge Frau verschwindet. Doch eine Leiche wird nie entdeckt. Um diese doch noch zu finden, lässt die Polizei jetzt sogar einen See abpumpen.

Es ist ein ungewöhnlicher Kriminalfall - und das sind auch die Ermittlungsmethoden: Die Bremer Polizei lässt jetzt einen ganzen See leerpumpen, um diesen nach einer Leiche und anderen Beweisen absuchen zu können. Fast 35 Millionen Liter Wasser müssen dafür abfließen, etliche Fische, Muscheln und andere Tiere umziehen. „Das ist eine Herkulesaufgabe“, sagte Polizeisprecher Nils Matthiesen. Die Ermittler hoffen dadurch, einen Mord von vor 25 Jahren aufklären zu können.

Im Juni 1993 verschwand plötzlich eine junge Mutter aus Bremen. Bis heute fehlt von ihr - oder einer Leiche - jede Spur. Die Ermittler sind sich trotzdem sicher: Ihr damaliger Lebensgefährte hat sie ermordet, weil sie sich von ihm trennen und mit dem kleinen Sohn ausziehen wollte. Seit August steht der heute 58-Jährige deshalb vor dem Landgericht - und weist die Vorwürfe von sich.

Ist die Frau tatsächlich tot oder hat sie sich abgesetzt? Licht ins Dunkle soll der Prozess bringen. Deshalb haben die Richter die aufwendige Durchsuchung des Tietjensees in Schwanewede an der Stadtgrenze zu Bremen angeordnet. Ein Jahr nach dem Verschwinden der jungen Frau hatten Angler dort eine mit Steinen beschwerte Tüte entdeckt. In ihr befanden sich der Verlobungsring der Vermissten, eine Zahnbürste und Schminksachen. „Da liegt es nahe, dass der Täter auch die Leiche und andere Gegenstände im Zusammenhang mit der Tat dort entsorgt hat“, sagte Gerichtssprecher Gunnar Isenberg.

Taucher hatten den 260 Meter langen und 83 Meter breiten See in der Vergangenheit mehrmals durchkämmt. Allerdings klagten sie über sehr schlechte Sicht, weniger als zehn Zentimeter weit konnten sie unter Wasser gucken. Eine gründliche Suche war deshalb nicht möglich. Dass ein See diesen Ausmaßes leergepumpt wird, hat es bei der Bremer Polizei noch nicht gegeben - zumindest soweit sich die Ermittler erinnern können. Deutschlandweit einmalig ist die Aktion jedoch nicht.

Im vergangenen Herbst hatte die Polizei nach dem schweren Missbrauch eines kleinen Jungen in Staufen bei Freiburg das Wasser aus dem Stadtsee ablaufen lassen und dadurch eine Festplatte entdeckt. Im Frühjahr 2016 ließen die Ermittler nach einem Mord in einem Kölner Park Wasser aus einem Weiher pumpen, um den Grund absuchen zu können. Auch nach dem Mord an der kleinen Michelle 2008 in Leipzig griff die Polizei zu diesem Mittel. Spaziergänger hatten die Leiche des Kindes in einem flachen Teich gefunden.

Wann genau das Technische Hilfswerk die Pumpen am Tietjensee anwirft, steht noch nicht fest. Experten sollen sich am Freitag zuerst ein Bild von der Lage am See machen. „Wir müssen aufpassen, dass die Beweise beim Abpumpen nicht verschwinden oder beschädigt werden“, erläuterte Matthiesen. Die vielen Millionen Liter Wasser sollen über Gräben in die nahe gelegene Weser laufen. Bis der See komplett leer ist, wird es nach Angaben der Polizei mehrere Tage dauern. Dann sollen Fahnder den Morast durchwühlen.

Bis es soweit ist, bewachen Sicherheitsleute den Tietjensee rund um die Uhr. An ihn ist kein Rankommen mehr - damit niemand dort versenkte Beweise verschwinden lässt.