Hamburg. Bei der Flucht rammt ein Dieb in Hamburg ein weiteres Taxi und tötet einen Menschen.

Als der Vorsitzende Richter noch einmal die Details des Unfalls schildert, vergräbt Mehmet Y. das Gesicht in seine Hände und weint. Der Mann, der beinahe sein Leben ausgelöscht hätte, verzieht dagegen auf der Anklagebank keine Miene. Wie im gesamten Prozess wirkt Ricardas D. (25) auch an diesem letzten Verhandlungstag in Hamburg nahezu regungslos. Minuten zuvor hat das Landgericht das Urteil im Namen des Volkes verkündet: lebenslänglich. Wegen Mordes und zweifachen versuchten Mordes.

Damit endet zumindest vorerst ein Prozess, der bundesweit Schlagzeilen gemacht hat. Ricardas D. hat niemanden erschossen oder erstochen. Seine Waffe war ein Taxi, das er am frühen Morgen des 4. Mai 2017 gestohlen hatte. Auf der Flucht vor der Polizei raste der zuvor wegen Diebstahls verurteilte Litauer mit einer Spitzengeschwindigkeit von mehr als 160 Stundenkilometern durch Hamburg und rammte in der Innenstadt ein anderes Taxi, das gerade zwei Fahrgäste aufgenommen hatte. Die beiden Männer waren auf dem Heimweg nach ihrer Schicht als Barkeeper. Einer der beiden überlebte mit schwersten Kopfverletzungen, sein Kollege starb noch am Unfallort. Taxifahrer Mehmet Y. erlitt zahlreiche Brüche, leidet auch jetzt noch unter den Folgen der Verletzungen.

„Der Angeklagte billigte den Tod anderer, möglicherweise auch den eigenen Tod“, erklärte der Vorsitzende Richter. Ricardas D. sei wie ein Täter gewesen, „der bei der Flucht um sich schießt“. Man habe es „hier mit dem vorsätzlichen Werk eines maximal rücksichtslosen Täters zu tun“.

Der Verteidiger hatte zuvor eine Freiheitsstrafe von vier Jahren für fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung gefordert, sein Mandant habe in Panik gehandelt. Dem widersprach der Richter energisch: Ricardas D. habe genau gewusst, was er tue. Er habe sich sogar extra Handschuhe übergestreift, um beim Einbruch ins Auto keine Spuren zu hinterlassen. Dann habe er mehrere rote Ampeln ignoriert, hätte sogar nach dem Unfall trotz zweier Beinbrüche noch versucht zu fliehen. Von einer Schuldminderung durch Alkoholkonsum – Ricardas D. war bei der Tat angetrunken – könne keine Rede sein. Im Gegenteil: Wer mit über 1,2 Promille und ohne Fahrerlaubnis durch eine Metropole rase, handele besonders verantwortungslos.

In seinem letzten Wort hatte sich Ricardas D. bei den Opfern des Unfalls und ihren Angehörigen entschuldigt: „Ich bereue zutiefst, was ich gemacht habe. Ich bete jeden Tag für den Verstorbenen.“

Der Kampf um Entschädigung

hat begonnen

Mit dem Urteil ist indes der Fall keineswegs abgeschlossen. Zum einen wird erwartet, dass die Verteidigung in Revision gehen wird. Zum anderen beginnt nun die zivilrechtliche Etappe. Rechtsanwalt Gregor Maihöfer, der die Mutter des getöteten Barkeepers im Strafprozess als Nebenkläger vertreten hat, kämpft nun um die Entschädigung durch die Versicherung des gestohlenen Taxis: „Meine Mandantin ist völlig traumatisiert, sie hat bei dem Unfall ihr einziges Kind verloren.“ Zudem sei sie nach einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie arbeitslos.

Das Gericht verurteilte Ricardas D. zwar zu einer Zahlung von 20 000 Euro Schmerzensgeld an die Mutter. Doch es wird befürchtet, dass bei dem Täter, der zudem alle Verfahrenskosten zahlen soll, kaum etwas zu holen sein wird.