Lamae. Spritzen, Medikamentenpackungen – die Urlaubsinsel Bali ruft den „Abfallnotstand“ aus.

Die Bilder, die sich an Balis Traumstränden bieten, sind erschütternd: Im ehemaligen Urlaubsparadies verschandeln Müllberge die Landschaft. Plastikverpackungen, Shampoobehälter und andere Abfälle stapeln sich zwischen Sonnenanbetern. Jetzt hat die indonesische Insel den „Abfallnotstand“ ausgerufen.

Täglich sammeln nun 700 Reinigungskräfte und 35 Laster rund 100 Tonnen Abfälle ein und laden sie in einer Mülldeponie ab. Am schlimmsten ist es während der jährlichen Monsunzeit, wenn starke Winde und Meeresströmungen Strandgut anspülen und angeschwollene Flüsse Müll von den Ufern zur Küste befördern.

Balis Bewohner weisen jede Mitschuld an dem schwimmenden Dreck weit von sich. „Wir wären dumm, wenn wir so unseren Fremdenverkehr schädigen“, sagt ein einheimischer Hotelier. Stattdessen deuten die Balinesen mit einem anklagenden Finger auf die Region Java. Dort gerate der Abfall ins Meer, die Strömung bringe den Müll an die Küste Balis. Und schon bleiben die Touristen aus.

Das Plastikmüllproblem hat längst die lokale Grenze gesprengt. „Unser Planet wird langsam mit Plastik abgedeckt“, sagt Professor Jan Zalasiewicz von der Leicester-Universität. Auch in Thailand ist das Problem riesig: Der Monsun treibt an stürmischen Tagen bis zu drei Meter hohe Wellen gegen den Sandstrand von Lamae rund 100 Kilometer südlich von Chumpon. Restaurantbesitzer fürchten an solchen Tagen um ihr Geschäft. Aber Nat (58), eine alleinstehende Witwe, freut sich über jeden Sturm: „Ich verdiene in den Wintermonaten rund 10 000 Baht (etwa 250 Euro) mit dem Einsammeln von Plastikabfall.“

Jeder der 66 Millionen Thailänder benutzt täglich durchschnittlich acht Plastiktüten. Aber die Plastiksammlerin Nat am Strand von Lamae kümmert sich wie Millionen ihrer Kollegen an Stränden in aller Welt nur um Plastikflaschen und größeres Strandgut. Tausende von gebrauchten Spritzen, leere Plastikpackungen mit Seifenrückständen sowie Zehntausende von Plastikschlappen oder halb verbrauchten Medikamentenpackungen, die angeschwemmt werden, lässt sie liegen. Der Grund: Mit dem kleinen Plastikabfall lässt sich weniger verdienen als mit Flaschen.

Fische verwechseln Plastik

mit Plankton

Acht Millionen Tonnen Plastikabfall landen laut der Umweltbehörde der Vereinten Nationen jährlich in den Ozeanen der Welt. Im Jahr 2050, so lauten Expertenprognosen, wird es mehr Plastikabfall als Fische in den Weltmeeren geben. Die Folgen sind dramatisch. Fische verwechseln die Partikel mit Plankton. Am Ende landet das Plastik auf unseren Esstischen, heißt es.

Dabei galt Plastik einmal als Segen. Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez feierte in seinen jungen Jahren als Journalist im Jahr 1954 in einem Nachruf den Schweizer Chemiker Jacques Edwin Brandenberg, den Erfinder des Zellophanpapiers, als Wohltäter der Menschheit. Dank ihm werde die Schönheit von Bonbons gewürdigt.

García Márquez schlug sogar vor, den Chemiker in mehreren Plastikhüllen einzusargen und wie einst Lenin oder heutzutage noch Ho Chi Minh öffentlich auszustellen. Niemand hörte auf den exzentrischen Vorschlag des kolumbianischen Schriftstellers. Stattdessen erinnern heutzutage gerade in Asien wachsende Plastikmüllberge an die Erfindung.

Zwei Drittel des schwimmenden Plastikmülls stammen aus China, Indonesien, den Philippinen, Thailand und Vietnam. Laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts IHS Markit wird die Nachfrage nach dem Plastikmaterial bis 2021 jährlich um 4,6 Prozent steigen – vor allem getrieben von China. Das Reich der Mitte wird jährlich zehn Millionen Tonnen mehr an Plastikverpackungen verbrauchen. Auch Indien ist ein weiterer Wachstumsmotor. Vernünftiges Müllmanagement, so schätzen Fachleute, könnten das Plastikmüllproblem um 40 Prozent verringern. Doch noch fehlt es an der Umsetzung.