Hannover. 16 Tonnen Kokain haben Ermittler in Hamburg gefunden und einer Gruppierung aus Hannover zugeordnet. Doch das illegale Geschäft floriert weiter.

Die schlechte Nachricht zuerst: Der „Schnee“ rieselt immer weiter – das Kokain scheint den Drogenhändlern in Deutschland partout nicht auszugehen. Und auch die Preise ziehen nicht an. Und das, obwohl die Ermittler die Droge gleich tonnenweise beschlagnahmt haben. Die gute Nachricht: Polizei und Justiz sind „nicht ohnmächtig“, wie der Präsident des Landeskriminalamts Niedersachsen, Friedo de Vries, betonte. „Wir haben wirklich große Erfolge erzielt und konnten konsequent gegen die Täter vorgehen.“ Aber: Mit Drogen ist unglaublich viel Geld zu verdienen. Das macht gierig.

Gruppierung aus Hannover handelte tonnenweise mit Kokain

Doch gleichzeitig reiht sich Razzia an Razzia, unlängst ging die Polizei in vier Bundesländern gegen mutmaßliche Drogenhändler vor. Zwei Männer aus Brandenburg kamen in Untersuchungshaft. Kurz zuvor nahmen belgische Ermittler bei einer Razzia 18 Verdächtige fest, mehr als 160 Polizisten waren beteiligt. Gerade Belgien ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für Drogen in Europa geworden.

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Rückblick: Nicht nur ein paar Kilogramm oder gar Gramm, sondern 16 Tonnen Kokain sicherten Ermittler im Februar 2021 im Hamburger Hafen. Eine internationale Bande von Drogenhändlern soll die Lieferung per Schiff aus Südamerika in den europäischen Raum organisiert haben. Der Marktwert des Rekordfunds: rund 448 Millionen Euro. Das Rauschgift war in Kanistern versteckt, die angeblich Spachtelmasse enthielten. Der Schlag gelang den Ermittlern vor allem, weil die vermeintlich verschlüsselte Kommunikation der Bande mit der App „SkyECC“ geknackt wurde – von französischen und niederländischen Experten. Auch die sogenannten „Encrochat“-Handys wurden entschlüsselt.

Ermittler knacken Messenger-Verschlüsslung

Das war entscheidend: Nach Angaben des Bundeskriminalamts wurden bis Ende 2022 auf Basis der Krypto-Daten rund 4000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, fast 40 Tonnen Rauschgift wurden sichergestellt. „Wir waren schon überrascht über diesen Blick in das Dunkelfeld“, meinte de Vries. „Natürlich haben wir die Lage schon als ernstzunehmend eingeschätzt, aber über diese tiefen Einblicke haben wir bislang nicht verfügt.“ Und man sei „ein Stück weit erschreckt“ gewesen über die Offenheit, mit der in den Netzwerken gesprochen wurde, über die Menge an Drogen, um die es ging, um die klaren Aussagen zu Gewalt und die Skrupellosigkeit der Täter.

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    Nicht erwartet hatten die Ermittler auch den Rekordfund von 16 Tonnen Kokain – der einer Gruppierung aus Hannover zugeordnet werden konnte. De Vries: „Wir wussten um die Rolle Hannovers als Drehscheibe im Drogengeschäft, waren dennoch beeindruckt über das Ausmaß des Umschlagplatzes – auch für den Kokainhandel in Deutschland.“ Und wenn die Kommunikation nicht entschlüsselt worden wäre? „Dann hätten wir sicherlich ein verzerrtes Lagebild – der Blick in das Dunkelfeld hat hier noch mal eine neue Dimension aufgezeigt“, räumte er ein. Aber Ohnmacht angesichts der Drogenflut? „Ohnmächtig? Nein“, betonte de Vries. „Aber natürlich konnten wir mit den gewonnenen Daten die handelnden Täter zielgenauer, schneller und effektiver ermitteln.“

    Beteiligte erwartet oft eine Freiheitsstrafe

    Bundesweit seien 5000 Nutzer der verschlüsselten Handys ermittelt worden – gut 400 davon in Niedersachsen, sagte der LKA-Präsident. „Davon konnten wir gut 300 identifizieren.“ Strafverfahren wurden eingeleitet, über 80 Prozent neue Verfahren. Das sage „etwas aus darüber, inwiefern uns dieser Personenkreis vorher bekannt war“. Allein in Niedersachsen habe dies zu 100 Verurteilungen geführt, mit im Schnitt fünf Jahren Freiheitsstrafe. Das zeige auch, „mit welcher Qualität an Täterklientel wir es hier zu tun haben“.

    De Vries erklärte, die Behörden seien auf den Zugriff auf die Kommunikation angewiesen: „Und wir müssen feststellen, dass sich Kommunikation weg von der klassischen Telefonie bewegt – hin zu Messenger-Diensten“, sagte er. Und es gibt weitere kryptierte Anbieter. Nach Angaben des Bundeskriminalamts werde deren Zahl auf über 60 geschätzt. Geprüft werden müsse, ob die Dealer diese Kanäle nutzen. Und: Die Zahl der Kanäle, auf die die Ermittler bislang Zugriff haben, sei „im einstelligen Bereich“.

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    Kommunikation ist also alles für die Ermittler. Denn: Ob Rauschgift oder Waffenschmuggel, es geht immer um Transport und Logistik. „Und dafür braucht es Absprachen unter anderem zu Verteilungsprozessen“, erklärte der LKA-Präsident. „All das geht nicht ohne Kommunikation.“ Dennoch ziele die Polizei nicht auf die Offenlegung aller Kanäle ab, sondern brauche Zugriff im Fall konkreter Anhaltspunkte. Zumal sich Kommunikation „nicht mehr im Nationalstaat“ abspiele, sondern die mutmaßlichen Täter international vernetzt seien.

    Kriminelle fühlen sich sicher

    Das gehe so weit, dass man im Netz Dienstleistungen kaufen könne – kriminelle Dienstleistungen, sagte de Vries. Von „Crime as a Service“ spricht das Bundeskriminalamt. Da würden Dienstleistungen abgefragt – wer kann beschaffen, wer kann verpacken, wer kann verkaufen und Logistik oder eine Lagerhalle bereitstellen? Mit den Krypto-Handys hätten sich die Täter sicher gefühlt und genau solche Fragen offen besprochen – ohne Tarnnamen. Und sogar Fotos von Bargeld, Waffen und Drogen verschickt. Die Polizei bekam ihre Ermittlungsergebnisse gleichsam auf dem Silbertablett präsentiert.

    1000 Tonnen Kokain sollen allein in Kolumbien jedes Jahr außer Landes gebracht werden – davon sollen 60 Prozent für den europäischen Markt bestimmt sein, sagte de Vries. Wichtig dabei: Die großen Häfen Rotterdam, Antwerpen, aber auch Hamburg. Unklar sei, welcher Teil des Dunkelfeldes schon ausgeleuchtet sei. „Ich glaube schon, dass wir einen empfindlichen Schlag gegen die Drogenkartelle haben landen können“, betonte er. Aber: „Wir stellen auch fest, und das ist die bittere Wahrheit, dass wir kaum Veränderungen auf dem Markt sehen.“ Das betreffe die Verfügbarkeit des „Schnees“, aber auch die Preise. Wäre der Drogenmarkt massiv beeinträchtigt, müsste man das nicht an steigenden Preisen sehen? Aber „das stellen wir so nicht fest“. Also dürften weiter riesige Mengen im Umlauf sein.

    Aus dem Archiv: Gepresstes und hoch konzentriertes Kokain aus einem Kokainfund wird im Rahmen einer Pressekonferenz des Zoll Hamburg gezeigt.
    Aus dem Archiv: Gepresstes und hoch konzentriertes Kokain aus einem Kokainfund wird im Rahmen einer Pressekonferenz des Zoll Hamburg gezeigt. © dpa | Christian Charisius

    Was passiert mit dem Geld?

    Das Problem: Ein Teil der Drogengelder dürfte in legalen Geschäften landen – etwa Immobilien. Daher habe die organisierte Kriminalität „aus meiner Sicht das Potenzial, die Sicherheitsarchitektur in Europa, aber auch in Deutschland ein Stück weit zu erschüttern“, sagte er. „Das ist sicherlich etwas, was uns nachdenklich machen muss.“ Anzeichen gebe es zudem dafür, dass die südamerikanischen Hersteller des Kokains auf den europäischen Markt drängen – um selber das „große Geld“ zu verdienen.

    Was also tun? Die Sicherheitsbehörden müssten aufrüsten – nämlich bei personellen und technischen Ressourcen, forderte de Vries. Dabei gehe es um leistungsfähige Rechner, Speicherkapazitäten für die Verarbeitung enormer Datenmengen, aber auch um Experten, die Daten analysieren und Verbindungen herstellen. Mit der Einführung einer Bargeldobergrenze und eines nationalen Immobilienkatasters könne der Zugriff auf das Vermögen der Täter effektiver werden – denn an der Stelle tut es ihnen weh: im Portemonnaie.

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