Hannover. Niedersachsens SPD und Grüne haben am Dienstag ihre Vereinbarungen präsentiert. Der Wolfsburger Falko Mohrs (SPD) wird Minister. Alles Wichtige dazu.
Niedersachsens SPD und Grüne haben ihre Koalitionsverhandlungen in Rekordtempo beendet – und den Koalitionsvertrag am Dienstag vorgestellt. Zudem haben Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg bei der Themen-Vorstellung die künftigen Ministerinnen und Minister der neuen Landesregierung benannt. Die Parteien müssen auf ihren jeweiligen Landesparteitagen noch zustimmen – das Pro-Votum gilt allerdings als gesetzt.
Das sind die wichtigsten Antworten aus der Pressekonferenz von Rot-Grün in Person von Ministerpräsident Stephan Weil, Julia Willie Hamburg, Ex-Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) und Grünen-Landesvorsitzende Anne Kura.
Rot-Grün: Wer wird Ministerin oder Minister in Niedersachsens neuer Regierung?
Neben der SPD-geführten Staatskanzlei gab es bislang zehn Ministerien in Niedersachsen – SPD und CDU hatten in der vergangenen jeweils fünf inne. Grünen-Landeschef Hans-Joachim Janßen hatte für seine Partei Anspruch auf drei bis vier Ministerien erhoben. Am Dienstag verkündete Ministerpräsident Stephan Weil, dass in der neuen Regierung sechs SPD-Politiker Ministerposten erhalten, und die Grünen vier Posten. Interessant und wichtig außerdem: Das neue Kabinett Niedersachsens wird paritätisch aus gleich vielen Frauen und Männern besetzt.
Das sind die neuen Köpfe der Landesregierung Niedersachsens
Bereits als gesetzt galten Ex-Agrarminister Christian Meyer (Grüne) als neuer Umweltminister, Miriam Staudte (Grüne) als neue Landwirtschaftsministerin, Boris Pistorius (SPD) als bisheriger und auch neuer Innenminister sowie Daniela Behrens (SPD) als Sozialministerin. Dies bestätigte sich am Dienstag.
Zudem soll Wiebke Osigus (SPD) Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung werden, Kathrin Wahlmann (SPD) Justizministerin, und Gerald Heere (Grüne) Finanzminister.
SPD-Mann Olaf Lies wird voraussichtlich neuer Wirtschaftsminister – er kehrt damit in eine alte Rolle zurück, denn er bekleidete den Posten bereits von 2013 bis 2017. Zuvor war auch die Grüne Julia Willie Hamburg für dieses Amt ins Spiel gebracht worden. Sie soll neue Kultusministerin werden und wird Vize-Ministerpräsidentin. Somit soll sie offenbar auch neben Weil im VW-Aufsichtsrat sitzen.
Eine überraschende Nachricht gab es auch für die Region Braunschweig-Wolfsburg: Falko Mohrs (SPD) wird Wissenschaftsminister Niedersachsens. Bislang sitzt der Wolfsburger im Bundestag. Neue Staatssekretärin im Sozialministerium könnte nach Informationen unserer Zeitung die Braunschweiger Dezernentin Christine Arbogast werden. Auch der neue Finanzminister Gerald Heere hat eine Braunschweiger Vergangenheit: Er studierte Politikwissenschaft an der TU Braunschweig, stand jahrelang dem Grünen-Kreisverband vor und war bis 2016 Ratsherr der Stadt Braunschweig.
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Welche Themen will Rot-Grün in Niedersachsen angehen?
Die zentralen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen hatten Mittwoch vergangener Woche begonnen, zuvor gab es Vorgespräche in mehreren Fachgruppen. Von Klima über Bauen bis Bildung und Landwirtschaft hatten die Partner – angeführt von Weil sowie der Grünen Fraktionsvorsitzenden Julia Willie Hamburg – dann jeweils die Ergebnisse ihrer bereits abgehakten Themensitzungen präsentiert.
Nach dem ersten Verhandlungstag hatte Weil gesagt: „Nach der vorangegangenen Diskussion sehe ich eigentlich nirgendwo ein Thema, wo wir wirklich sehr weit auseinander liegen würden.“ Am Dienstag legte Weil nach und lobte das angenehme Klima der Gespräche – die Verhandlungen nach den Vorgesprächen seien nach fünf Tagen beendet gewesen.
Große inhaltliche Überraschungen bot das am Dienstag vorliegende 137-Seiten-Dokument nicht: Neben der akuten Krisenhilfe geht Niedersachsen mit den Schwerpunkten Klimaschutz, Bildung, Entwicklung der ländlichen Räume sowie deutlich höheren Investitionen in die neue Legislaturperiode. Das kündigte Weil bei der Präsentation des Koalitionsvertrags von SPD und Grünen an. Die künftige Landesregierung wolle „solide haushalten“, aber auch investieren, sagte Julia Willie Hamburg.
„Im Vordergrund muss derzeit natürlich die Bekämpfung der akuten Krise stehen“, meinte Weil mit Blick auf Energieversorgung und hohe Preissteigerungen. Die neue Regierung will noch im November ein Sofortprogramm auf den Weg bringen, das „in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen“ Hilfe bieten soll. Dies hatte Weil bereits im Wahlkampf angekündigt. Es gehe darum, eine unmittelbare Existenznot abzuwenden, sagte Weil am Dienstag. Das Programm soll ein Volumen von knapp 1 Milliarde Euro haben. Es werde durch Bundeshilfen zu ergänzen oder zu ersetzen sein, die aber erst ab Anfang 2023 zu erwarten seien, sagte Weil.
Niedersachsen soll laut Koalitionsvertrag bis 2040 klimaneutral sein, Sonne und Windkraft sollen „rasch und konsequent“ ausgebaut werden. Nun werde der „Turbo bei der Energiewende“ eingelegt, sagte die Grünen-Landesvorsitzende Kura. Die Grüne Julia Willie Hamburg betonte aber, Niedersachsen sei ein Industriestandort. Man müsse Klimaneutralität und Wirtschaftskraft zusammenbringen.
Als Beispiel für eine „Politik der ausgestreckten Hand“ nannte Weil am Dienstag die Landwirtschaftspolitik. „Die Landwirtschaft hat durch ihre Produktionssteigerungen der letzten Jahrzehnte dazu beigetragen, die Grundlage für gesellschaftlichen Wohlstand zu schaffen“, beginnt der Abschnitt im Koalitionsvertrag nicht zufällig mit einer Würdigung, ein „Sonderprogramm Klimawandel“ für Landwirtschaft und Forst wird versprochen.
Zum „Zukunftsthema Bildung“ sagte Weil, alle Lehrer müssten in der Eingangsstufe gleich bezahlt werden. Laut Koalitionsvertrag soll dies möglichst schnell umgesetzt werden. Es bezieht sich auf Grund-, Haupt- und Realschullehrer.
Im Koalitionsvertrag wird die Bundesregierung außerdem aufgefordert, „die Finanzierungszusagen zum dringend notwendigen Ausbau der Weddeler Schleife einzuhalten“. Der Bund prüft derzeit die „bundesseitige Finanzierung“ des Bahnstreckenausbaus zwischen Braunschweig und Wolfsburg.
Beim „Schacht Konrad“ will das Land über die Anträge von Umweltverbänden auf Rücknahme oder Widerruf der „Konrad“-Genehmigung „zügig“ entscheiden. Man sehe den Bau des Endlagers „kritisch“. Minister Lies hatte sich bei einem Besuch vor Ort ausdrücklich hinter die Konzeption gestellt.
Der designierte Wissenschaftsminister Mohrs, der mit in den Verhandlungsrunden saß, dürfte mit Aufmerksamkeit auf ein anderes Kapitel im Koalitionsvertrag geblickt haben. Zugesagt wird eine „bedarfsgerechte und verlässliche Grundfinanzierung unserer Hochschulen“, außerdem eine „substanzielle“ Erhöhung der Finanzmittel für große Baumaßnahmen gegen den Sanierungsstau. „Unser Ziel ist mindestens eine niedersächsische Exzellenzuniversität“, heißt es weiter. Die Hochschulpolitik des Landes war in der rot-schwarzen Koalition heftig unter Beschuss geraten – Weil war angelastet worden, das Thema schleifen zu lassen.
Das sind die Reaktionen auf den rot-grünen Koalitionsvertrag
Der Verband Bildung und Erziehung lobte am Dienstag, dass das Einstiegsgehalt A13 als Minimum für Lehrkräfte in Niedersachsen nun kommen solle – noch ein Punkt, mit dem Finanzminister Heere klarkommen muss. „Wir sehen eine deutliche Verbesserung zur Stillstandspolitik der letzten Regierung. Dennoch geht der Vertrag in einigen Teilen nicht weit genug“, hieß es seitens der Grünen Jugend. Sie fordert beispielsweise, bei geplanten Verkehrstickets Menschen mit geringen Einkommen einzubeziehen.
Fridays for Future Niedersachsen geht der von Rot-Grün am Dienstag vorgelegte Koalitionsvertrag im Bereich Klimaschutz nicht weit genug. Zwar seien vereinzelt Fortschritte zu verzeichnen, etwa beim Ausbau Erneuerbarer Energien und bei der Einführung eines 29-Euro-Tickets für Schüler, teilte Fridays for Future mit. Die Maßnahmen seien aber nicht ausreichend. „Kleine Schritte in die richtige Richtung sind genau das: kleine Schritte“, bemängelte Nele Evers, Pressesprecherin von Fridays for Future Niedersachsen. Im Koalitionsvertrag fehle ein Ende fossiler Projekte wie der Ausbau des Südschnellwegs und der Autobahn 20, kritisierte Evers. So bleibe die Landesregierung bei ihren Klimazielen auf altbewährten Pfaden, erst für 2040 plane sie eine komplette Versorgung mit Erneuerbaren Energien.
Zufrieden mit dem Koalitionsvertrag zeigte sich dagegen der Landesverband Erneuerbare Energien Niedersachsen-Bremen (LEE). „Die Themen Klimastrategie und Ausbau Erneuerbarer Energien haben den Stellenwert erhalten, den sie benötigen“, sagte LEE-Vorsitzende Bärbel Heidebroek. Wichtig sei nun, dass auch die notwendige personelle Kapazität zur Verfügung gestellt werde.
SPD-Bezirkschef Hubertus Heil lobte wiederum Falko Mohrs als „verlässlich und blitzgescheit“. Es sei eine gute Nachricht für die Region Braunschweig-Wolfsburg, dass der Wolfsburger künftig am Kabinettstisch sitzen werde.
Rot-Grün in Niedersachsen: Welche weiteren Personalien wurden verkündet?
Niedersachsens bisheriger Kultusminister Grant Hendrik Tonne übernimmt die Führung der SPD-Landtagsfraktion. Der 46-Jährige wurde am Dienstag in Hannover einstimmig zum neuen Vorsitzenden gewählt, wie die Fraktion mitteilte. Tonne sagte, das Kultusministerium sei auf ein Thema beschränkt, jetzt gehe es für ihn darum, die gesamte politische Themenbreite abzudecken. „Von der Arbeitsintensität wird das nicht anders sein“, sagte er.
Tonne tritt die Nachfolge von Johanne Modder an, die das Amt seit 2013 innehatte. Die 62-Jährige hatte bereits vor Monaten ihren Rückzug aus der Landespolitik angekündigt. Die Sozialdemokraten stellen nach der Landtagswahl vom 9. Oktober mit 57 Abgeordneten die größte Fraktion im Landtag.
Zudem soll die SPD-Politikerin Hanna Naber neue Präsidentin des niedersächsischen Landtags werden. Die SPD-Fraktion werde die 51-Jährige für den Posten vorschlagen, sagte der neue Fraktionschef Grant Hendrik Tonne am Dienstag in Hannover. Naber könnte dann die Nachfolge von Gabriele Andretta antreten, die bereits vor Monaten ihren Rückzug aus der Landespolitik angekündigt hatte. Naber ist seit 2020 die Generalsekretärin der SPD in Niedersachsen.
Diese Ministerpräsidenten regierten bereits in Niedersachsen
Wie geht es weiter in der niedersächsischen Politik? Wann wird Weil Ministerpräsident?
Zwei Landesparteitage stehen noch aus: Am Samstag ist ein außerordentlicher Landesparteitag der SPD geplant, bei dem über die Koalition abgestimmt werden soll. Einen Tag später ist dies bei den Grünen vorgesehen. Sollten die Parteimitglieder dort ihre Zustimmung geben, könnte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der kommenden Woche für eine dritte Amtszeit vereidigt werden. Der Landtag konstituiert sich am Dienstag.
dpa/AH