St. Andreasberg. Roland Pietsch ist neuer Leiter des Nationalparks Harz. Er sagt: Das Fichtensterben ist eine Riesenchance für den Wald.

Knirschend und ruckelnd bewegt sich das weiße Auto über die Schotterstraße, die früher mal durch einen dunklen Fichtenwald führte. Auf der Fahrertür prangen die Länderwappen von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Im Wagen tritt Roland Pietsch aufs Gas. Er fährt vorbei an toten Fichten, so weit das Auge reicht. „Manchen Wanderer erschreckt dieser Anblick. Das Fichtensterben ist aber eine Riesenchance für den Wald. Er stirbt nicht, er wandelt sich“, sagt der neue Leiter des länderübergreifenden Nationalparks Harz.

Einige hundert Meter weiter zeigt er auf das junge Grün zwischen toten Stämmen, die wie Mikadostäbchen übereinander liegen. Gräser, Büsche, Birken und andere kleine Bäume erobern langsam die lichte Fläche. Pietsch hat seine neue Stelle Anfang August angetreten, in einer Zeit, in der die Transformation der Natur in vollem Gange ist. Seit mehr als zehn Jahren stellen Stürme, Hitze und Trockenheit die Fichten-Monokulturen im Harz auf eine harte Probe. Der Borkenkäfer gibt ihnen nun den Rest. Seit 2017 sind im Nationalpark bereits mehr als 5000 Hektar Wald abgestorben, im gesamten Harz fast 20.000. Für den Park ist es die größte Herausforderung seit der Fusion der Nationalparks in Ost und West im Jahr 2006.

Pietsch arbeitete in Ghana und im Gabun

Pietsch, der bei Hannover aufgewachsen ist, kennt den Harz seit Kindertagen. Den Ausflügen mit den Eltern folgten Exkursionen während des Studiums der Forstwissenschaften in Göttingen. „Ich liebe den Wald. Schon als Student bin ich in den Harz gekommen, um Muße und Entspannung zu finden“, erinnert sich der 56-Jährige.

Seitdem hatte er beruflich auch immer mit Wäldern zu tun. In Ghana hat er zwei Jahre ein großes Projekt zur Wiederaufforstung des Regenwaldes geleitet. In seiner Doktorarbeit hat er untersucht, wie ein Wald im ebenfalls westafrikanischen Gabun auf Abholzungen reagiert. Als Leiter der Naturschutzstation in Kranenburg am Niederrhein und zuletzt der Oberen Naturschutzbehörde in Koblenz war er jahrelang auch für den Schutz und die Pflege heimischer Wälder mitverantwortlich.

Mit Pflanzungen der Natur ein bisschen nachhelfen

An einem Abzweig lässt Pietsch das Auto stehen und geht zu Fuß weiter. Zwischen den Baumstümpfen links und rechts des Weges blüht es bunt. Greiskraut, Weidenröschen und Fingerhut bekommt das neue Licht. „Im dunklen Unterholz der Fichten konnte nicht viel wachsen. Jetzt haben wir hier viel mehr Biodiversität“, erklärt der Forstwissenschaftler. „Darüber freut sich auch der Luchs, da er hier jetzt viel mehr Beute erjagen kann.“

Am Ziel angekommen steht Pietsch 750 Meter über dem Meeresspiegel auf den steil über dem Odertal emporragenden Hahnenkleeklippen. Graubraune Hügel und kahle Kuppen bestimmen die kilometerweite Aussicht. Doch einige grüne Flecken im Hang auf der anderen Talseite setzen sich ab von ihrer monotonen Umgebung. Es handelt sich um nur wenige Jahre alte Buchen und andere Laubbaumarten, erklärt Pietsch. Ausgehend von diesen Initialpflanzungen soll neuer widerstandsfähiger Laubwald entstehen. „Generell gilt im Nationalpark das Prinzip ,Natur Natur sein lassen’. Aber wenn wir nicht mit Pflanzungen nachhelfen, besteht das Risiko, dass sich wieder die hier unnatürliche Fichte durchsetzt.“

Noch kennt Pietsch nur einen Bruchteil der 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nationalpark, darunter Verwaltungsleute, Forstexperten, Wissenschaftler, Techniker und Pädagogen. Finn Mischur von der Nationalparkwacht trifft seinen Chef heute unerwartet zum ersten Mal. Der junge Forstwirt ist mit dem Mountainbike unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Beide hat ihr Weg von Göttingen in den Harz geführt, wie sie im Gespräch lachend feststellen. Als Studenten haben sie beide ihre „Waldprüfung“ im Forstamt Reinhausen bei Göttingen abgelegt, wenn auch etwa dreißig Jahre versetzt.

Auf dem Brocken den Wind und die Weite genießen

Wenig später kommt Pietsch mit zwei Ausflüglern aus Berlin, einem jungen Mann und seiner Freundin, ins Gespräch. „Einige fürchten ja, dass Touristen den Wald wegen des Fichtensterbens meiden. Das glaube ich aber nicht. Das Interesse am Waldwandel ist sehr groß“, sagt er. Der Wanderer stimmt zu: „Die Transformation, die jetzt stattfindet, finde ich spannend und ich freue mich, dass hier jetzt ein natürlicherer Wald wächst.“

Pietsch schaut auf die Uhr. Mehrere Stunden Sitzung und weitere Antrittsbesuche warten auf ihn. Seinen neuen Aufgaben sieht er mit Respekt und Zuversicht entgegen. Das Ankommen im neuen Amt werde aber noch eine Weile dauern, sagt er. Auch privat erwarte ihn mit dem Umzug in die Nähe des Dienstsitzes in Wernigerode viel Neues. Beruf und Freizeit ließen sich in seiner Position ohnehin nicht immer klar trennen. Manchmal auch zugunsten der Freizeit: Wenn er ohnehin in der Nähe ist, beginnt er den Feierabend auch schonmal auf dem Brocken. „Dort oben kriege ich den Kopf frei und genieße den Wind und die Weite, manchmal sogar über den Wolken. Herrlich!“