Oldenburg. Was ahnten Pfleger und Ärzte von Högels Taten? 100 Morde soll der Ex-Pfleger begangen haben. Wussten Zeugen mehr als sie preisgaben?

Frühere Kollegen des Ex-Pflegers Niels Högel am Klinikum Oldenburg haben nach dem Eindruck der Polizei nicht in vollem Maße bei den Mordermittlungen kooperiert. Alle Mitarbeiter seien bei der polizeilichen Vernehmung mit einem von der Klinik bezahlten Rechtsanwalt erschienen. Es sei dabei der Eindruck entstanden, dass die Zeugen aus welchen Gründen auch immer, nicht die Wahrheit gesagt hätten, sagte ein 52 Jahre alter Polizeibeamter am Freitag im Prozess gegen Högel am Landgericht Oldenburg. Der Mann war Mitglied der Sonderkommission „Kardio“.

Viele Zeugen hätten aus seiner Sicht Informationen zurückgehalten und nicht an die Polizei weitergegeben. „Das Aussageverhalten war reduziert“, so der Beamte. Der Leiter der Soko, Arne Schmidt, hatte am Donnerstag auf Erkenntnisse einer Telefonüberwachung verwiesen, wonach die Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg offenbar angehalten worden seien, nur mit Rechtsbeistand zu den polizeilichen Vernehmungen zu gehen. Pfleger und Ärzte des Klinikums Oldenburg, wo der heute 42-jährige Högel 36 Patienten getötet haben soll, werden am 22. Januar vor dem Landgericht als Zeugen aussagen.

Der unter anderem wegen zweifachen Mordes 2015 bereits zu lebenslanger Haft verurteilte Högel steht seit Ende Oktober 2018 erneut vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft legt ihm 100 Morde an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst zur Last. Sie wirft ihm vor, seine Opfer mit verschiedenen Medikamenten zu Tode gespritzt zu haben. Mehr als 40 Mordfälle räumte Högel vor Gericht explizit ein. In vielen Fällen sagte er aber nur knapp: „Keine Erinnerung, kein Ausschluss.“

Högel arbeitete von Juni 1999 bis Oktober 2002 in Oldenburg und wechselte dann von Dezember 2002 bis zum Tag seiner Festnahme am 8. Juli 2005 nach Delmenhorst. Dort soll er 64 Patienten auf der Intensivstation getötet haben. In Delmenhorst war der Ex-Pfleger nach Angaben eines inzwischen pensionierten Ermittlers von Dezember 2002 bis Ende Juni 2005 bei drei Viertel aller Sterbefälle im Dienst. Dort sei auch der Verbrauch des Herzmedikaments Gilurytmal teilweise um das Drei- bis Vierfache gestiegen. Mit diesem Medikament hatte Högel viele Patienten getötet. Am Freitag wurden vier ehemalige Mitglieder der Soko „Kardio“ gehört, die von Oktober 2014 bis August 2017 eingesetzt war. Im Rahmen der Ermittlungen wurden mehr als 130 Leichname exhumiert. Der überwiegende Teil der Angehörigen habe mit Bestürzung auf die Nachricht reagiert. Viele hätten aber schon etwas geahnt. „Sehr oft war es die Bestätigung eines langgehegten Verdachtes“, schilderte ein Beamter die Reaktion der Angehörigen.