Hannover. Könnte es in Niedersachsen zu rechten Aufmärschen wie in Chemnitz oder Köthen kommen? Experten sehen keine breite Unterstützung in der Bevölkerung.

Nach den rechtsextremen Protesten in Chemnitz und Köthen mit Tausenden Teilnehmern sorgt sich mancher davor, dass es ähnliche fremdenfeindliche Aufzüge auch in Niedersachsen geben könnte. Auch hier koordinieren Rechtspopulisten ihre Aktivitäten zunehmend über soziale Netzwerke und Bundesländergrenzen hinweg, wie der Verfassungsschutz berichtet. Allerdings steht in Niedersachsen der Ort Bad Nenndorf symbolisch für den erfolgreichen Protest breiter Gesellschaftsschichten gegen rechtsextreme Umtriebe. Es sei eine andere Bevölkerungsstruktur als im Osten, sagen Experten, wegen der in Niedersachsen kaum eine große Unterstützung für rechte Protestaktionen zu erwarten sei.

Bei der Landtagsdebatte am Donnerstag über demokratiefeindliche Tendenzen und insbesondere die Vorgänge in Chemnitz und Köthen beschwor Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Notwendigkeit einer aktiven Zivilgesellschaft, die sich neben dem Staat gegen Rassismus und Rechtsextremismus stellen müsse. "In diesem Land überlassen wir dem Rechtsextremismus und den Ausländerfeinden freiwillig keinen Fußbreit", sagte er.

Wenn es in Niedersachsen während der aktuellen Stimmungslage zu Gewalttaten wie in Sachsen und Sachsen-Anhalt komme, trauen die Sicherheitsbehörden der rechten Szene hier durchaus zu, ebenfalls Proteste zu organisieren. Aus der Erfahrung der Vergangenheit werden dazu aber eher nur Dutzende denn Tausende Teilnehmer erwartet, hieß es. Klein etwa blieb der Anhängerkreis der vor Jahren verbotenen und damals landesweit bedeutsamsten rechten Gruppierung "Besseres Hannover". Und einem Aufzug eines rechten "Hagida"-Bündnisses mit rund 200 Teilnehmern stellten sich 2015 in Hannover 19 000 Gegendemonstranten in den Weg.

Auch der im Landespräventionsrat (LPR) für den Kampf gegen Rechtsextremismus Zuständige, Thomas Müller, kann sich kaum vorstellen, dass sich einem rechten Protest in Niedersachsen große Massen anschließen, dies zeige die Erfahrung der Vergangenheit. Ein wesentlicher Faktor, der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Ansichten wissenschaftlich erwiesenermaßen entgegenstehe, sei der persönliche Kontakt mit Menschen anderer Herkunft. Somit sei alleine der deutlich höhere Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund in Niedersachsen ein Grund, dass Vorurteile und entsprechende rechte Ansichten hier weniger Wurzeln schlügen.

Eine Rolle spiele ebenfalls, dass Grundwerte wie Demokratie, Freiheit und das Vertrauen in den Rechtsstaat in Niedersachsen positiver erlebt würden als in den ostdeutschen Bundesländern. Auch dies schütze vor der Verbreitung rechter Tendenzen. Wegen der Erfahrungen aus DDR-Zeiten fehlten im Osten eher positiv geteilte Grundwerte, das Vertrauen in die Polizei etwa sei geringer als hier, sagte Müller.

"Dass Normalbürger auf die Straße gehen wie in Chemnitz und Köthen, kann ich mir schwer vorstellen", meint Pastor Wilfried Manneke vom "Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus". Dass Rechtsextremisten aber versuchten, auch in Niedersachsen Proteste anzuzetteln, hält er für möglich. Die Proteste dagegen, die unter anderem das Netzwerk um Manneke seit Jahren organisiert hat, halten Verfassungsschutz und Polizei in Niedersachsen für einen der Erfolgsfaktoren im Kampf gegen öffentliche Aufzüge rechter Gruppen in Niedersachsen.

Symbolisch für den breiten bürgerlichen Protest steht Bad Nenndorf, wo Neonazis seit 2006 zunächst jährlich einen Aufmarsch mit zwischenzeitlich rund 1000 Teilnehmern organisierten. Der Verein «Bad Nenndorf ist bunt» aber mobilisierte immer wieder einen vielfältigen Widerstand unter Einbindung zahlreicher gesellschaftlicher Gruppen, so dass die Rechten 2016 das Handtuch warfen. dpa