Braunschweig.

Leser Jürgen Pastewsky, Kreisvorsitzender der AfD-Wolfenbüttel, schreibt zur Ombudsrats-Kolumne „Welche Rolle spielt die Nationalität des Schützen?“ vom 8. Januar:

Diese Stellungnahme zu einem Leserbrief zeigt erneut, welcher Geist in der Funke-Mediengruppe weht. Auf die Kritik an dem Vorwurf, die AfD würde Räume nutzen, die historisch durch das NS-Regime belastet seien, gehen weder der Chefredakteur noch die Ombudsräte ein. Nutzen die lupenreinen Demokraten der Kartellparteien nicht seit Jahren ebensolche Gebäude?

Dazu schreibt Redakteur Philipp Neumann, der in seinem Kommentar „Die AfD als Chance“ vom 28. Dezember erwähnt hat, dass die AfD-Bundestagsfraktion Büros in einem Gebäude aus der NS-Zeit nutzt:

Der Hinweis auf den Umstand, dass die Abgeordneten der AfD-Bundestagsfraktion in einem während der NS-Zeit errichteten Gebäude untergebracht sind, war nicht zwingend. Ich halte es aber für ein bemerkenswertes historisches Zusammentreffen, dass eine rechtsnationalistische Partei wie die AfD ihre Büros im ehemaligen Reichsinnenministerium hat.

Die Mandatsträger der AfD im Bundestag und in den Landesparlamenten vertreten zum Teil fremdenfeindliche oder rassistische Positionen. Das haben die Äußerungen auf dem Twitter-Account des Abgeordneten Jens Maier über Noah Becker gerade erst gezeigt. Insofern finde ich es vertretbar, in einem Meinungsbeitrag auf dieses Zusammentreffen hinzuweisen.

Richtig ist, dass die Vertreter anderer Parteien und auch ganze Bundesministerien in Gebäuden aus der NS-Zeit untergebracht sind. Die Politik, die heute dort gemacht wird, ist jedoch eine andere als damals. Solange aber führende Vertreter der AfD wie Alexander Gauland die NS-Zeit mit der Umschreibung „diese zwölf Jahre“ verharmlosen, solange halte ich eine Verknüpfung der Politik der AfD mit den Räumlichkeiten, in denen sie gemacht wird, für zulässig und angebracht.

Wenn es der AfD missfällt, dass politische Gegner oder Medien Analogien ihrer Politik zur Nazi-Zeit ziehen, dann hat sie es selbst in der Hand, dem die Grundlage zu entziehen. Das würde – um beim zitierten Beispiel zu bleiben – damit beginnen, dass Partei- und Fraktionschef Gauland zum Fall Maier etwas mehr sagt, als dass dies „nicht sein Stil“ sei.

Außerdem: Wer, wie der Vorsitzende der AfD Wolfenbüttel, selbst die politische Debatte anheizt, indem er andere Parteien als „Kartellparteien“ oder „lupenreine Demokraten“ abwertet, der darf sich nicht beschweren, wenn er in der öffentlichen Debatte selbst etwas härter angefasst wird.

Die Ombudsräte Joachim Hempel und David Mache schreiben:

Redakteur Philipp Neumann hat nachvollziehbar beschrieben, weshalb er es für „ein bemerkenswertes historisches Zusammentreffen“ hält, dass „eine rechtsnationalistische Partei wie die AfD ihre Büros im ehemaligen Reichsinnenministerium hat“. Die Erwähnung dieses Umstandes in seinem Kommentar verstößt nicht gegen Grundsätze des journalistischen Handwerks oder gar gegen die medienrechtlichen Leitplanken; es handelt sich um eine wahre Tatsachenbehauptung.

Allerdings sollten sich Journalisten auch fragen, ob sie bei der Berichterstattung über demokratische Parteien immer dieselben Maßstäbe ansetzen. Die Redaktion dieser Zeitung hat sich bewusst dazu entscheiden, bei Berichten über die AfD auf den Zusatz „rechtspopulistisch“ zu verzichten: Die AfD ist zu demokratischen Wahlen zugelassen, als drittstärkste Kraft in den Bundestag eingezogen und in 14 von 16 Länderparlamenten vertreten. Somit ist sie rein formal eine Partei wie CDU oder SPD.

Andererseits grenzt sich die „Alternative für Deutschland“ besonders stark und bewusst von diesen Parteien ab. So schreibt der Leser und AfD-Kreisvorsitzende Pastewsky von „Kartellparteien“. Der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker sieht in dieser Anti-Establishment-Orientierung ein zentrales Kennzeichen populistischer Bewegungen: „Populisten reklamieren, dass sie den wahren Volkswillen kennen und sie werfen den gesellschaftlichen und politischen Eliten vor, dass sie sich gegen diesen wahren Volkswillen permanent vergehen“, so Decker vor gut einem Jahr im Deutschlandfunk.

Ferner unterstellt der Leser, dass in der Funke-Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört, ein bestimmter „Geist“ wehe. Dabei unterschätzt er, wie unterschiedlich die Meinungen der zahlreichen Redakteure dieser Zeitung sind – und welche Pluralität dadurch entsteht. Eigentlich überflüssig ist es zu betonen, dass die Redaktion dieser Zeitung wirtschaftlich wie politisch unabhängig und überparteilich ist. Garantiert wird diese Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Doch auch diese Kernsätze unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hindern viele AfD-Repräsentanten nicht daran, den „Mainstream-Medien“ unablässig Meinungsmache vorzuwerfen und sich selbst beleidigt als Opfer einer angeblich kampagnengesteuerten Berichterstattung zu inszenieren. Die Opferrolle gehört offenbar zur politischen Strategie dieser Partei.

„Ich halte es für besser, sich zu engagieren und den Versuch zu unternehmen mitzugestalten, als nur zu kritisieren“, schreibt Jürgen Pastewsky auf der Internetseite der AfD Wolfenbüttel. Die Wortwahl in seiner Beschwerde an den Ombudsrat lässt an dieser Absicht Zweifel aufkommen.