Braunschweig.

Zu „Die letzten Zeugen im Ostsee-Drama“ vom 26. August schreibt Leser Thomas Brasser aus Denkte:

Dieser Beitrag hat mich doch betroffen gemacht: Der gewaltsame Tod einer jungen Frau ist ein schreckliches Ereignis, über das natürlich auch in einer Zeitung geschrieben werden kann. Aber über eine halbe Seite zu schildern, wie ein Ehepaar aus Wolfenbüttel versucht hat, zufällig geschossene Fotos zu vermarkten und das letztendlich auch gelungen ist, halte ich für keine journalistische Meisterleistung. „Der Schock sitzt immer noch tief“ – so steht es zu Beginn der Reportage, aber wohl doch nicht so tief, um nicht aus eigenem Antrieb die „Bild“-Zeitung zum Ankauf der Bilder zu bewegen. Was hat ein solcher Beitrag in dieser Zeitung zu suchen, die sich doch so oft auf ihre journalistische Qualität beruft?

Harald Likus, Desk-Chef und stellvertretender Chefredakteur, nimmt wie folgt Stellung:

Man kann eine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Natürlich ist eine Regionalzeitung besonders erpicht darauf, einen Bezug zu beleuchten, den eine Geschichte in die entsprechende Region hat. Immer wieder ist es ja erstaunlich – im Sinne des alten Spruches „Die Welt ist doch’n Dorf“ –, wie viele scheinbar weit entrückte Storys sich auch und manchmal sogar besonders gut mit einem hiesigen Bezugspunkt schildern lassen.

Auch bei dem tragisch-spektakulären „Ostsee-Drama“ halte ich die Tatsache der mutmaßlichen Zeugenschaft der Reisenden aus Wolfenbüttel für interessant genug, um einen Artikel darüber zu schreiben. Es ging ja nicht um den journalistischen Marktwert der Fotos, die gemacht wurden. Sie wurden immerhin sogar den ermittelnden Kriminalpolizisten zugeleitet. Und somit ging es zumindest indirekt darum, wie unverhofft man mitunter, und sei es als kleiner Statist, in eine besonders merkwürdige, hier: besonders schreckliche Geschichte hineingerät.

Der Ombudsrat schreibt:

Die von Harald Likus angesprochene Regionalität ist für diese Zeitung ein bestimmender Faktor, um Nachrichten auszuwählen und zu gewichten. Zudem geht es im vorliegenden Fall um das außergewöhnliche Erlebnis des Lesers Ekkehard Senf, dem eine Bürgerzeitung, die den Dialog mit ihren Lesern ernst nimmt, durchaus Resonanzraum bieten kann.

Andererseits lohnt es, die von Leser Thomas Brasser aufgeworfene Frage zu diskutieren: Ist der Bericht über die Senfs und ihren Berührungspunkt zum Fall Kim Wall ein gutes Thema für diese Zeitung? Erfüllt der Beitrag die Qualitätskriterien der Redaktion? Und was macht diesen Fall überhaupt so interessant für die Öffentlichkeit?

Das Geschehen auf der „UC3 Nautilus“ im Hafen von Kopenhagen ist – so zynisch das klingen mag – wie gemacht für die Mechanismen der Massenmedien: Die junge schwedische Journalistin Kim Wall wird vom dänischen Tüftler Peter Madsen auf dessen U-Boot gelockt und dort – so der dringende Verdacht – von ihm ermordet. Die Polizei findet Leichenteile und brutale Videos auf dem Rechner des Tüftlers. Die öffentlichkeitswirksamen Zutaten für diese Schauergeschichte sind also Mord und Totschlag, ein hübsches weibliches Opfer, ein kauziger Verdächtiger und ein wahrscheinlicher Todeskampf in einer engen Stahlröhre unter Wasser. Noch dazu platzt die Geschichte ins Sommerloch – eine eher nachrichtenarme Zeit.

Nicht erst im Internetzeitalter stellt sich die Frage, ob Medien Kriminalfälle nicht zu sehr ausschlachten, um höhere Quoten oder bessere Verkaufszahlen zu erzielen. Machen wir uns nichts vor: Natürlich reizen uns menschliche Abgründe, natürlich wollen viele Leser alles über solche Fälle erfahren. Journalisten sollten allerdings mit Rücksicht auf Opfer, etwaige Angehörige und auf das Empfinden ihres Publikums nicht primitive voyeuristische Bedürfnisse erfüllen, sondern auf die Schilderung grausamer Details verzichten.

Daran mag sich ein Boulevardmedium wie die „Bild“-Zeitung nicht halten. Von einer Regionalzeitung hingegen darf man neben Zurückhaltung eine analytische Qualität erwarten –und letztere fehlt leider im Beitrag „Die letzten Zeugen im Ostsee-Drama“. Eine schnelle Recherche bei Google hätte gereicht, um herauszufinden, dass Ekkehard Senf keineswegs der einzige ist, der Fotos mit Kim Wall und ihrem mutmaßlichen Mörder gemacht hat: Bereits am 23. August berichtete die „Frankfurter Allgemeine“ auf ihrer Website über den Kieler Peter Thompson. Auch er will von Bord des Kreuzfahrtschiffes „Aidabella“ ein Foto von Wall und Madsen auf dem U-Boot geschossen haben.

Wünschenswert wäre auch gewesen, den Verkauf der Bilder an die „Bild“-Zeitung mit Verweis auf die grassierende Gaffer- und Voyeurismus-Problematik kritisch zu einzuordnen. Manchen Redaktionen sind im Kampf um Klicks und Quoten ethische Grundregeln zunehmend egal. Im Kampf um Aufmerksamkeit im digitalen Informationsdschungel kaufen sie auch Fotos an, deren Aussagekraft allenfalls zweifelhaft ist – oder die grausame Details zeigen können. Dies ist freilich auf Ekkehard Senfs Bildern nicht der Fall.

Deshalb war es auch nicht grundlegend falsch, über den Leser und seine Verbindung zum Fall Kim Wall zu berichten. Mehr analytische Tiefe und die Problematisierung des Verkaufs der Bilder in einem beigestellten Kommentar wären allerdings wünschenswert gewesen.