„Trotz allem gibt es Anlass, zuversichtlich auf 2023 zu blicken. Die Inflation geht leicht zurück, die Energiepreise sind leicht gesunken.“

Nichts ist unmenschlicher als Krieg. Kriege sind voller Lügen und ethischer Grausamkeiten, sie sollten eigentlich aus der modernen Zeit gefallen sein. Sind sie aber nicht. Seit fast einem Jahr wütet nun in der Ukraine der absurde Angriffskrieg von Putins Russland. Und dennoch: Mit jedem Monat dieser sinnlosen Attacke wächst auch die Hoffnung auf ein Ende dieses Konflikts in Europa. Wie sehr sehnen wir uns danach, dass es bald einen Waffenstillstand mit politischen Verhandlungen gibt, die in ein Friedensabkommen münden könnten? Auf ein menschlicheres Jahr 2023!

Wie unmenschlich der Krieg anno 2022/2023 ist, zeigt auch der schlimme, „erfolgreiche“ Raketenangriff der ukrainischen Armee auf einen russischen Soldatenstützpunkt in der Neujahrsnacht in der von den Russen besetzten Donbass-Stadt Makijiwka. In einem Schulgebäude, das den russischen Soldaten als Quartier dient, schlugen mehrere Raketen ein. Mehr als 100 Todesopfer soll es gegeben haben, die russische Seite nannte deutlich weniger tote Soldaten. Wahrscheinlich sind es aber sogar deutlich mehr gewesen. Nun kam in dieser Woche heraus, dass die russischen Soldaten wohl deshalb durch die Raketen gestorben sind, weil sie menschliche Schwäche gezeigt hatten. „Schwäche“, die wir in Friedenszeiten als völlig normal und empathisch ansehen und von jedem erwarten: Die in der Region Donezk stationierten russischen Soldaten hatten offenbar in der Silvesternacht – trotz ausdrücklichen Verbots – mit ihren Handys ihre Familien angerufen, um sich zum Jahreswechsel aus dem Krieg bei ihren Frauen und Kindern zu melden. Diese menschliche „Schwäche“ wurde zu ihrem Todesurteil, weil die ukrainischen Streitkräfte so die Handys und das Quartier orten konnten.

Doch wir dürfen nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Präsident Putin führt diesen Krieg in Europa unerbittlich, die ukrainische Armee verteidigt sich und schlägt immer erfolgreicher zurück. Der Vorfall am Neujahrstag zeigt auch, dass viele der russischen Soldaten Opfer von Putins Größenwahn sind. Sie mussten in den Krieg ziehen, hatten eigentlich keine Wahl. Die (menschliche) Schwäche der russischen Armee kann jedoch Hoffnung auf ein Umdenken, auf einen Rückzug und einen politischen Kompromiss zwischen Russland und der Ukraine machen. Putin muss auch im eigenen Land geschwächt und politisch angegriffen werden. Das geht aber wohl nur dann voran, wenn die Ukraine militärisch – mit Hilfe des Westens – immer stärker wird. Nun hat sich die Bundesregierung entschlossen, Schützenpanzer vom Typ Marder zu liefern. Frankreich und die USA haben zudem weitere Lieferungen von Waffensystemen angekündigt. Es ist insgesamt ein tödlicher Kreislauf für den möglichen Frieden. Es geht wohl nur so. Das sind die unmenschlichen Gesetze des Krieges.

Was ist los mit denen?

Die nicht zu tolerierenden Angriffe von Chaoten auf Einsatzkräfte in Deutschland rund um die Silvesternacht zeigen auf verstörende Weise, dass es Menschen in unserer Gesellschaft gibt, denen Mitgefühl und Verstand offensichtlich komplett fehlen. Sie attackieren blind alles, was Uniform trägt. Sie sind gegen den Staat, nicht in unserer demokratischen Gesellschaft integriert.

Ganz so einfach ist es sicher nicht. Denn die Fragestellung, die Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius in der ersten Woche des neuen Jahres aufgeworfen hat, ist eine, die wir politisch, gesellschaftlich und im persönlichen Umgang mit anderen Menschen in diesen herausfordernden Zeiten zwingend erörtern müssen: Wieso kommen Menschen auf den Gedanken, andere Menschen ohne Grund anzugreifen und ihre Gesundheit zu gefährden? Fürchten sie keine Konsequenzen? Offensichtlich nicht.

Ist die Gesellschaft insgesamt gewalttätiger geworden, wie Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld, gegenüber dem „Tagesspiegel“ behauptete? Erleben wir aufgrund der vielen Krisenthemen seit der Pandemie eine Verrohung und Extremisierung der Gesellschaft? Diese Frage ist gleichermaßen berechtigt, wenn wir daran denken, dass eine Gruppe von Reichsbürgern in Deutschland im Jahr 2022 (!) einen Umsturz geplant hatte…

Die Gefahr von rechtem Terrorismus bleibt die größte in Deutschland. Seit der bundesweiten Reichsbürger-Razzia und dem offenbar vereitelten rechtsextremen Staatsstreich wissen wir, dass das so ist. Rechtsextreme und Neonazis sind unter uns. Wir müssen immer und überall wachsam sein. Das hat auch der bizarre Fackel-Aufmarsch in Goslar vor kurzem gezeigt.

Der Rechtsstaat mit seinen Organen muss bedingungslos funktionieren. Er muss radikalisierte Bürger, egal mit welchem Hintergrund und Gedankengut, konsequent mit allen Möglichkeiten aus dem Spiel nehmen. Denn die Entwicklungen – auch entscheidend durch den russischen Krieg ausgelöst – wie Energiekrise, Kostensteigerung, steigende Armut sowie ein überreiztes Gesundheitssystem sind zusätzlicher Zündstoff für den schleichenden sozialen Unfrieden im Land.

Die Politik in Deutschland, aber auch in der EU, muss sich 2023 diesen Herausforderungen stellen und endlich ihre Hausaufgaben machen. Die Corona-Pandemie hat auf viele Missstände in unserem Land wie mit einem Brennglas hingezeigt. Dass nach der Pandemie die Kliniken und Kinderstationen schon wieder überlastet sind, weil das RS-Virus derzeit für eine medizinisch kaum zu bewältigende Häufung von Atemwegserkrankungen sorgt, zeigt: Das seit vielen Jahren kränkelnde System ist am Limit. Und das können wir in Zukunft nicht tolerieren. Seit vielen Jahren wird hierzulande von verschiedenen Regierungen völlig plan- und perspektivlos am Gesundheitssystem herumgedoktert und es kaputtgespart. Nun, da die Defizite in Notaufnahmen, Praxen und Intensivstationen auch in unserer Region schmerzhaft spürbar sind, trägt auch dies zur Unzufriedenheit bei und ist Wasser auf die Mühlen derer, die sich ohnehin benachteiligt fühlen. Das darf so nicht weitergehen. Der soziale Zusammenhalt hat oberste Priorität. Für uns alle.

Trotz allem gibt es Anlass, zuversichtlich auf 2023 zu blicken. Die Inflation geht leicht zurück, die Energiepreise sind leicht gesunken. Die Rezession ist noch nicht in Sicht. Und es gibt immer mehr Stimmen von militärischen und politischen Experten, die ein Ende der Gefechte in der Ukraine für wahrscheinlich halten. Frieden und das Ende des sinnlosen Tötens wäre der größte Erfolg für die Menschlichkeit in diesem Jahr. „War is over if you want it“, hat schon John Lennon singend gehofft. „Stop War!“: Wünsche können wahr werden. Hoffen wir auf 2023.