„Es gab in diesem Jahr öfter auch Lichtblicke. Momente, in denen das Gefühl der Normalität, Freiheit, zuweilen sogar Ausgelassenheit wieder da war.“

Die adventlichen Lichter in den Straßen und über den Dächern, das Glitzern in den Bäumen, der Duft von gebrannten Mandeln, Glühwein und allerlei Geräuchertem, der vom Weihnachtsmarkt weht – dies sind Lichtblicke in unserem zweiten Corona-Jahr. Und doch ist eben alles anders und das lateinische Sprichwort „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“ zur traurigen Gewissheit geworden: „Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.“ Ja, die Zeiten haben sich geändert und wir auch.

Zwar ist diese Angst aus dem Vorjahr, die einen in den eigenen vier Wänden gehalten hatte, weniger geworden. Geblieben aber sind das Gefühl einer Unsicherheit und in stillen Stunden der Gedanke an all die, die, in welcher Form auch immer, Opfer dieses potenziell tödlichen Virus geworden sind.

Seit dem Frühjahr, das unsere Zeitung mit Ihrer Unterstützung in der Zuversichts-Kampagne so hoffnungsfroh begrüßt hatte, gab es jedoch durchaus weitere Lichtblicke. Momente, in denen das Gefühl der Normalität, Freiheit, zuweilen sogar Ausgelassenheit wieder da war: Bei Veranstaltungen unter freiem Himmel galt die Konzentration dem guten Gespräch und nicht allein dem gebotenen Abstand und dem korrekten Sitz der Maske.

Schnell auf einen Kaffee in die Stadt oder ins Restaurant um die Ecke, ins Fitnessstudio, Theater, Kino, Museum, in Kirchen oder Stadien – auch das war ohne große Beschränkungen möglich und mehr denn je ein großes Glück, besonders für jene unter uns, die allein leben. Genauso Familientreffen – wie viele Ältere haben wieder fühlen dürfen, was sie schmerzlich vermisst hatten: die Nähe ihrer Kinder und Enkelkinder.

Urlaubspläne wurden geschmiedet, wenn auch zuweilen von den jeweiligen Inzidenzen gesteuert. Wirtschaft, Kultur, Sport, Gesundheitswesen atmeten auf. Die Testzentren verabschiedeten sich, sogar unsere Fernseh-Talkshows wurden Virologen-frei. Für viele ging es zurück in die Büros, Homeoffice blieb da erhalten, wo es längst im Arbeitsalltag überfällig war. Nur der Kita- und Schulalltag und damit das Familienleben verharrte in einem gewissen Corona-Modus. Kinder und Jugendliche, sie bleiben die stillen Leidtragenden.

Das große Thema der Menschheit

Es war diese eine Zeit, in der wir aus unserer kleinen Welt auch wieder mehr den Blick aufs große Ganze warfen: Der Klimawandel ist längst vor unserer eigenen Haustür – im Harz unübersehbar. Die Erderwärmung, sie bleibt das große Thema der Menschheit.

Aus den USA hat es schreckliche Nachrichten gegeben. Die Menschen, die das Kapitol stürmten, haben gezeigt, wie verwundbar demokratische Staaten sind, wenn Bürger – und sei es nur ein kleiner Teil – sich über alle Werte und Regeln hinwegsetzen.

Im Juli kam die Flutkatastrophe im Ahrtal. Weit über hundert Menschen starben, Tausende wurden obdachlos, viele sind traumatisiert. Dass jetzt aus manchen Häusern Weihnachtslichter als Zeichen der Hoffnung leuchten, rührt zu Tränen. Dann die Bilder von verzweifelten Afghanen, die sich auf dem Flughafen von Kabul an ausländische Transportmaschinen klammerten, um den Taliban zu entkommen. Beschämende Bilder.

Im Herbst schließlich ging die Ära von Angela Merkel vorbei. Die Unionsparteien verloren die Macht, eine rot-grün-gelbe Koalition installiert sich und will nach eigener Aussage Fortschritt wagen. Man wird sehen. Eines aber hat schon der Wahlkampf gezeigt: Die Parteien scheuten genau das Thema, mit dem man wenig gewinnen, aber viel verlieren konnte: Corona.

Und da hat uns die vierte Welle nun voll erwischt. Nur wenige Wochen trennten die Verabschiedung des Braunschweiger Oberbürgermeisters Ulrich Markurth und die Einführung seines Nachfolgers Dr. Thorsten Kornblum – und doch lagen Welten dazwischen, eine Festveranstaltung wie bei Markurth war nicht mehr zu verantworten.

Neben erneuten diversen Einschränkungen macht aber Herbst und Winter noch etwas anderes so düster: die Abspaltung eines Teils der Gesellschaft. Schon seit Beginn der Pandemie gibt es Diskussionen um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: Wie weit dürfen staatliche Eingriffe in die Grundrechte gehen? Gibt es nicht mildere Mittel, die denselben Zweck erfüllen? Und wo liegt die Grenze zwischen Achtsamkeit, Zivilcourage und Denunziantentum?

Die Auseinandersetzung hat mittlerweile ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Mit 2G wird das öffentliche Leben für Ungeimpfte deutlich eingeschränkt, der Ton zwischen Geimpften und Ungeimpften immer rauer, eine sachliche Debatte ist kaum möglich. Mehr noch: Es werden Vergleiche und Metaphern aus der Ideologie des Nationalsozialismus benutzt, um zu provozieren, zu hetzen – frei von jedem historischen Bewusstsein. Insbesondere in der radikalen Szene stilisieren sich Kritiker so zu Opfern, immer öfter kommt es zu Ausschreitungen. Das macht tatsächlich wieder Angst.

Und doch steht mein persönliches 2021 letztlich unter einem anderen Motto: „Begegnungen“: Davon gab es – auch dank Ihnen – jede Menge. Beruflich wie privat habe ich viele Menschen nach Monaten wiedergetroffen, viele neu kennengelernt. In Redaktion und Verlag traf man sich endlich wieder zum Plausch auf dem Flur. Begegnungen gab es auch mit mir selbst – und einem durch Corona eben doch veränderten Ich. Und letztlich sind die besagten politischen Strömungen ebenso Begegnungen, deren Schärfe beschäftigt.

Jetzt aber ist Weihnachten, das Fest der Liebe, des Friedens, der Versöhnung und der Familie. Wie es weitergeht mit Corona und uns, wir wissen es nicht. Aber wir können uns etwas wünschen: Und da stand ganz oben auf meiner Liste, dass die Kleinsten in unserer Familie, Len (14) und Linda (10), hier heute das letzte Wort haben: „Wir möchten, dass alle Menschen sich gegenseitig zuhören und aufeinander aufpassen. Corona soll uns nicht kaputt machen.“