Übrigens haben Ratten, die elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren, länger überlebt als die Tiere der unbehandelten Kontrollgruppe.

Um den neuen Mobilfunkstandard 5G ranken sich die absurdesten Verschwörungsmythen, bis hin zur Behauptung, 5G sei der Auslöser der Corona-Pandemie. Seriösere Kritiker berufen sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen wie die sogenannte NTP-Studie. Im Interview mit dieser Zeitung sagte Nicole Wolf, Sprecherin der Bürgerinitiative 5G-frei Gifhorn, solche Studien hätten „eine krebsauslösende Wirkung der nichtionisierenden Strahlung des Mobilfunks nachgewiesen.“

Das ist eine bemerkenswerte Behauptung, nicht nur, weil diese Studien gar keine Wirkung auf Menschen untersucht haben, sondern auch weil sie im Widerspruch zur NTP-Studie selbst steht. Denn deren Ergebnisse können laut den Autoren „nicht direkt auf die menschliche Handynutzung übertragen werden“. Auf die Frage der Nachrichtenagentur Reuters nach den Konsequenzen für die Bevölkerung, sagte John Bucher, einer der Autoren: „Ich würde mein Verhalten deswegen nicht ändern.”

Für die NTP-Studie wurden Ratten und Mäuse elektromagnetischen Feldern nach den Mobilfunkstandards 2G und 3G ausgesetzt – neun Stunden am Tag, beginnend bei Embryonen im Mutterleib. Mit einer realistischen Exposition bei Menschen hat das nichts gemein, zumal schon die geringste Intensität bei den Tierversuchen nahe dem zugelassenen Grenzwert bei Menschen lag. Bei der stärksten getesteten Strahlung, weit jenseits dieses Grenzwerts, traten bei Ratten vermehrt Hirntumore auf. Allerdings zeigte sich dieser Effekt nur bei männlichen Ratten, nicht aber bei weiblichen oder bei Mäusen. Auch entwickelten nur die männlichen Ratten zudem häufiger Schwannome, eine Tumorart am Herzen. Schwannome können in allen Organen auftreten. Die Häufung ließ sich jedoch trotz Ganzkörperbestrahlung nur am Herzen beobachten. Dafür gibt es keine logische Erklärung, ebenso wie kein biologischer Mechanismus bekannt ist, der Krebs als Folge nicht-thermischer Effekte von Handystrahlung erklären würde.

Zudem war in allen Fällen die Zahl der Tumore sehr niedrig: Ein einziger solcher Tumor bei einem Tier aus einer Kontrollgruppe – und der Effekt wäre statistisch verschwunden. Das wirft die Frage nach dem Zufall auf. In statistischen Auswertungen wie bei der NTP-Studie geht man von einer fünfprozentigen Chance aus, dass ein gefundener Effekt dem Zufall geschuldet ist. Bei zehn gleichzeitigen Analysen steigt diese Wahrscheinlichkeit schon auf rund 40 Prozent. Nun wurden in der NTP-Studie mit den verschiedenen untersuchten Tiergruppen und Krebsarten aber Dutzende solcher Analysen durchgeführt. Damit werden Zufallsergebnisse fast schon zur Gewissheit, wenn die statistischen Methoden nicht angepasst werden – was hier unterblieben ist. Übrigens haben die Ratten, die elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren, länger überlebt als die Tiere der unbehandelten Kontrollgruppe. Ist damit eine lebensverlängernde Wirkung des Mobilfunks nachgewiesen?

Der Autor war Redakteur dieser Zeitung und ist Pressereferent des Julius-Kühn-Instituts.