„Die Hagia Sophia gemeinsam liturgisch zu nutzen, ließe göttliches Walten in Vielfalt erkennen.“

Sie ist geweiht der göttlichen Weisheit, aber auch ein Monument der politischen Machtentfaltung: Kaiser Justinian manifestierte mit dem Bau der Hagia Sophia im Jahr 537 seine Stellung als Herrscher eines wiedererstarkten Römischen Reiches. Der in Konstantinopel, also Ostrom regierende Kaiser war im Begriff, das germanisch-vandalisch besetzte Westrom wiederzuerobern. Die Hagia Sophia war die byzantinische Staatskirche, Kaiser Justinian auf dem Thron unter der Kuppel Teil der Liturgie.

Es passt zum autokratischen Wesen des türkischen Präsidenten Erdogan, dass er die Hagia Sophia nun im Handstreich zur Moschee machen will. Das Gericht bestätigt mal wieder, was Erdogan im Wahlkampf forderte. Bald wird er an Justinians Statt in der staatlich verordneten Moschee Hof halten. Einmal mehr in der Geschichte dieses Architekturwunders mit der schwebenden Kuppel macht er die Hagia Sophia damit zum politischen Spielball der Religionen. Sie war erst orthodoxe und phasenweise katholische Kirche, später islamische Moschee. Der Weisheit am nächsten kam Kemal Attatürk, als er das Streitobjekt 1935 zum Museum machte und die kunsthistorischen Zeugnisse aller dort manifestierten Religionen pflegen ließ.

Zur ästhetischen Ironie gehört, dass die Hagia Sophia in ihrer Geschichte Vorbild für den Kirchen- wie für den Moscheenbau wurde. Sie gemeinsam liturgisch zu nutzen, ließe göttliches Walten in Vielfalt erkennen. Davon ist man nun weiter entfernt denn je.

Zu Recht fühlen sich die griechischen und russischen Orthodoxen verletzt, fürchten Zerstörungen. Erdogan treibt die Türkei wieder einen Schritt weiter zum islamischen Staat. Sollte er die Hagia Sophia nicht allgemeinzugänglich halten, müssten Russland und die EU vereint zu Sanktionen greifen. Die Zeiten religiösen Beutemachens sind vorbei.