„Machen wir uns nichts vor: Es ist kein Vergnügen, Tag und Nacht stets dort sein zu müssen, wo das Zusammenleben schiefgeht.“

Was die Polizei wert ist, merkt man, wenn sie fehlt. Wenn eine durchgeknallte Gruppe sogenannter Fußballfans beschauliche Stadtviertel aufmischt, fragt niemand mehr, ob wir eine starke Polizei brauchen. Und wehe, wenn die Beamten dann nicht schnell genug zur Stelle sind.

Vielleicht sind gerade die Ereignisse der letzten Tage Augenöffner für manche, die Ordnungshüter für einen Problemfall halten. In den vergangenen Wochen häuften sich solche Äußerungen. Das reicht von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die bei der Polizei latenten Rassismus entdeckt habe wollte, bis zur der spätpubertären Verirrung einer jungen taz-Kolumnistin, die die Beamten mit Müll verglich. Mancher verwechselt die deutsche Polizei offensichtlich mit den US-Cops, die er aus dem Kino kennt.

Was das mit den Beamtinnen und Beamten macht, lässt sich vorstellen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Dietmar Schilff, nimmt tiefe Verunsicherung wahr. Seine Kollegen sind neuerdings mit Menschen konfrontiert, die Polizisten ohne erkennbaren Anlass als Nazischweine beschimpfen, die in einer makabren Nachinszenierung des Todes von George Floyd „Ich kann nicht atmen“ rufen, so als wäre Braunschweig Minneapolis. Und jetzt noch die Diskussion, ob die Polizei wissenschaftlich auf rassistische Tendenzen durchleuchtet werden müsse.

Was die Polizei wert ist, merkt man, wenn sie fehlt. Machen wir uns nichts vor: Es ist kein Vergnügen, Tag und Nacht stets dort sein zu müssen, wo das Zusammenleben schiefgeht. Polizistinnen und Polizisten können berichten, wie das ist, wenn man zu einem Ehestreit gerufen wird und sich plötzlich einem Fleischermesser gegenübersieht. Oder wie man sich fühlt, wenn man eine Unfallstelle absichert, an der gerade Menschen gestorben sind. Oder wie lange einen die Bilder begleiten, die Ermittler in Fällen von Kinderpornografie sichten müssen, stunden-, tage-, wochenlang. Oder was es heißt, wenn Mitglieder krimineller Clans Polizisten erklären, dass sie wissen, wo der Beamte wohnt.

Die Sicherheit der Sicherheitskräfte ist unter Druck geraten. Nach dem Lagebild des Bundeskriminalamtes gab es 2019 fast 37000 Fälle von Widerstand oder tätlichem Angriff. Das waren 2.791 mehr als im Jahr zuvor. Dass die Beamtinnen und Beamten den Rückhalt der Gesellschaft brauchen, ist vor dem Hintergrund solcher Zahlen klar; die Verschärfung der Strafen war deshalb ein wichtiges Signal.

„Die Beamtinnen und Beamten haben eine sehr sensible Wahrnehmung, wer sie unterstützt und wer nicht“, sagte ein hochrangiger Polizeibeamter dieser Tage im kleinen Kreis. Diese Unterstützung darf keine Kadaversolidarität sein. Aus gutem Grund ist die Arbeit der Polizei gesetzlich und verfassungsrechtlich klar geregelt, fortlaufend wird sie intern, von Ministerien, Parlamenten und Gerichten überwacht. Die Drohungen gegen die Linken-Politikerin Janine Wissler sind ein deutlicher Hinweis, dass die Intensität dieser Kontrollen gesteigert werden muss. Die Schmiererei war offenbar mit Hilfe einer Recherche in den Datenbanken der Polizei zustande gekommen.

Zugleich sollte aber niemand von einzelnen Problemfällen auf die gesamte Polizei schließen. Das System der Überwachung funktioniert. Die niedersächsische Polizei wendet darüber hinaus viel Kraft für die Steigerung der, wie es heißt, „demokratischen Resilienz“ auf. Gemeint ist die Immunisierung gegen Vorurteile und Klischees.

Schön und gut, werden Sie sagen. Aber wäre es nicht gut, wenn wir wissenschaftlich erforschen würden, wo unsere Polizei steht?

In den vergangenen Tagen fiel auf, dass zwei grundverschiedene Themen durcheinandergeworfen werden. Da geht es einmal um die Frage, ob die Polizei von Menschen mit rechtsextremen Einstellungen durchsetzt sei. Diese Frage könnte sozialwissenschaftlich untersucht werden. Aber ob der Ertrag überzeugend wäre? Wäre das Geld nicht besser investiert in die Personalentwicklung der Polizei – und in eine Anwerbekampagne, die sich dezidiert an Menschen mit Migrationshintergrund richtet? Es ist offensichtlich, dass die Polizei ein Spiegel der Gesellschaft sein sollte.

Die andere Frage beschäftigt sich mit dem Racial Profiling. Danach würde ein Hellhäutiger im Anzug weniger Kontakt mit der Streife bekommen als der Dunkelhäutige in Hoodie und Turnschuhen. Aber was kann eine Studie verändern, was nicht auch klare Führung schafft?

Bundesinnenminister Horst Seehofer will die Untersuchung nicht. Er vertritt eine Null-Toleranz-Politik, die Bekämpfung erscheint ihm offenbar sinnvoller als die Erforschung eines Problems. Das muss man nicht so sehen – aber in jedem Fall wäre es für Bürger und Polizisten ausgesprochen hilfreich, wenn sich Seehofer und seine Kabinettskollegin Lambrecht in der Sache einigen würden, anstatt die Haltung des anderen in Kurzinterviews zu kommentieren.

Das nämlich steigert nur die Verunsicherung von Menschen, für deren Arbeit wir alle dankbar sein sollten. Die Polizistinnen und Polizisten brauchen den klaren Rückhalt. Denn sie gehen dahin, wo es weh tut. An diesem Rückhalt sind Zweifel entstanden. Und das ist riskant. Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir eine Polizei, die tausendprozentig politisch korrekt ist, sich aber mit dem notwendigen Eingreifen immer schwerer tut.

Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger lässt unterdessen keinen Zweifel: Ende Juni erklärten 86 Prozent der Befragten des ZDF-Politbarometers, dass sie großes Vertrauen in die Polizei haben. Keine ganz schlechte Basis für einen kritischen, aber wertschätzenden Umgang. Wir sollten den jungen Menschen, die Polizistinnen und Polizisten werden möchten, und vor allem auch denen, die es schon sind, zeigen: „Wir wissen, was wir an Euch haben.“

Und zwar in unserem ureigenen Interesse. Was die Polizei wert ist, merkt man, wenn sie fehlt.

Dieser Text ist als Wochenkommentar auf NDR Info nachzuhören.