„Der Achtjährige wird sich sein Leben lang an seine erste rassistische Beleidigung erinnern.“

Manchmal rufen ihn die zwei Jungs „Schoko“. Dem Achtjährigen steigen dann jedes Mal die Tränen in die Augen. Das passiert in einer zweiten Klasse, wo genau in Deutschland, ist nicht wichtig, so was passiert überall. Die anderen Mitschüler sind noch zu klein, um zu widersprechen und dem Jungen mit der dunklen Haut beiseitezustehen.

Man könnte jetzt einwenden: Ist doch nicht so schlimm, Frotzelei unter Kindern. Aber so etwas setzt sich fort. Geht niemand dagegen vor, lernen die Kinder, dass so ein Verhalten in Ordnung ist. Und der Achtjährige wird sich sein Leben lang an seine erste rassistische Beleidigung erinnern.

Wenn an diesem Sonnabend in deutschen Städten unter dem Motto „Black Lives Matter“ gegen Rassismus protestiert wird, dann halten die Demonstranten zu Recht den Scheinwerfer auf ein Problem, das durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten überdeckt wurde: Rassismus in Deutschland. Das meint Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung von Minderheiten, Abwertung durch abfällige Bemerkungen über körperliche Merkmale, Niedermachen von ethnischen Besonderheiten. All das mündet auch hierzulande vermehrt in tatsächlichen Straftaten.

Allein für das Jahr 2019 registrierte das Bundeskriminalamt in dem neuen Themenfeld „Ausländerfeindlich“ 3703 Straftaten, davon 506 Gewaltdelikte.

Der Anlass für die Proteste liegt in Amerika: In der vergangenen Woche starb der Schwarze George Floyd infolge eines brutalen Polizeieinsatzes. Das Video, das die Tat zeigt, verbreitete sich durch Nachrichten und soziale Medien schnell und schockierte weltweit. Seither demonstrieren in den USA die Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt in Städten wie Minneapolis, New York, Washington, Seattle oder Los Angeles. Die meisten der Demonstranten sind jung, viele noch unter 25 Jahre alt. Sie kommen aus der Generation Z, der Generation, die ab Mitte der 1990er-Jahre geboren wurde.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama sagte in einer Diskussion zur Polizeigewalt über die jungen Demons­tranten: „Wenn ich manchmal verzweifle, blicke ich darauf, was mit jungen Menschen im ganzen Land passiert, und auf ihr Talent, ihre Stimme und wie bedacht sie vorgehen.“ Auch Martin Luther King und Malcolm X seien jung gewesen, als sie begannen, sich zu engagieren. „Das stimmt mich optimistisch. Es gibt mir das Gefühl, dass sich dieses Land bessern wird.“

Mit stillen Protesten wollen auch die jungen Demonstranten in Deutschland auf rassistisches Unrecht aufmerksam machen. Vielerorts treffen sie sich dazu um 14 Uhr an den prominentesten Plätzen der Republik: an Hamburgs Jungfernstieg, Berlins Potsdamer Platz, am Stuttgarter Schlossgarten, in Dortmunds City, am Opernplatz in Hannover.

Sie erinnern an Taten wie die vom 19. Februar 2020: In Hanau wurden an diesem Tag zehn Menschen ermordet. Der Täter schoss an einem Kiosk und in zwei Shishabars um sich. Der Generalbundesanwalt zog die Ermittlungen an sich, weil „gravierende Indizien“ für einen rassistischen Hintergrund vorliegen. Die unfassbare Tat wurde in der öffentlichen Diskussion durch die Corona-Pandemie verdrängt. Trotzdem ist der Rassismus noch da, auch in Deutschland.

Die Menschen, die am Sonnabend auf die Straße gehen, wissen das. Nicht nur das, sie wollen etwas ändern. Unter ihnen sind viele junge Menschen. Die Generation Greta hat noch mehr vor, als „nur“ das Klima zu retten. Sie tun das, was eine 20 Jahre alte, aber immer noch aktuelle Kampagne zweier Bundesministerien und prominenter Förderer fordert: Sie wollen „Gesicht zeigen“ für ein weltoffenes Deutschland. Die Erwachsenen sollten ihrem Beispiel folgen.