„Wer genau weiß, dass der Shutdown kaum zu bezahlen ist, darf nicht allein auf die Analyse der Ansteckungsraten verweisen und ,auf Sicht fahren’.“

„Die Wahrheit ist eine Braut ohne Aussteuer.“Francis Bacon

Mit jeder Woche, mit jedem Tag werden die Fragen dringlicher: Wie lange können wir uns den Shutdown leisten, den weitgehenden Stillstand einer der größten Volkswirtschaften der Welt? Und wie geht es nach Corona weiter?

Die schwindelerregenden Milliardensummen, die Bund und Länder verteilen, um die Folgen des Stillstands zu lindern, werden nur noch von den schweren Verlusten der meisten Unternehmen übertroffen. Der CDU-Fraktionschef im Bundestag, Ralph Brinkhaus, hat diese Woche etwas verschämt seine Sorgen artikuliert, wie das alles zu finanzieren sei. Seine Partei trägt das neuerliche Milliardenpaket samt der beispiellosen Erhöhung des (dringend nötigen) Kurzarbeitergeldes dennoch mit.

Hilfe tut not, das steht außer Frage. Man kann die Wirtschaft nicht aus noch so guten Gründen zur Vollbremsung zwingen und Unternehmen wie Beschäftigte mit den Folgen allein lassen. Es geht darum, den Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen zu verhindern. Und dennoch ist die Ausgabenhöhe nur mit der Hoffnung erklärbar, dass nur noch eine kurze Durststrecke überwunden werden muss.

Der Ehrenpräsident der IHK Braunschweig, Wolf-Michael Schmid, hat in seinem Video für unsere Aktion #mutmacher zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass unsere Regierungen gut gewirtschaftet hatten – jedenfalls im europäischen Vergleich, wie man ergänzen könnte. Aber das Staatssäckel leert sich mit derartig atemberaubender Geschwindigkeit, dass wir heute schon absehen können, wann es schlaff im trockenen Frühlingswind hängen wird.

Es kann kaum einen Zweifel geben: Wir sind gut beraten, dem Corona-Virus so wenig Chancen zu geben wie nur möglich. Aber die Perspektive, dass uns Covid-19 noch bis zu zwei Jahre lang den Atem rauben wird, wie Virologen und Epidemiologen glauben, zeigt auch: Wir brauchen Wege, das Virus so in die Schranken zu weisen, dass am Ende nicht unsere Volkswirtschaft zu den Verstorbenen zählt.

Ein Industrieland hält die Vollbremsung nur für sehr überschaubare Zeit und selbst dann nur zu kaum tragbaren Kosten aus. Selbst wenn es so gut finanzierte Stützkorsette hat wie unsere Staats- und Sozialkassen. Das weiß natürlich auch die Bundesregierung, das wissen die sie tragenden Parteien SPD und CDU. Die etwas naseweisen Attacken von FDP-Chef Lindner dürften diese Woche kaum Erkenntnis gestiftet haben. Ähnliches gilt für die Einlassungen einer wiedererwachten AfD, die erneut vor allem weiß, was alles NICHT geht.

Richtig ist aber: Die Frage nach einer Exit-Strategie müssen Bundes- und Länderregierungen dringend und gründlich beantworten. Wer genau weiß, dass der Shutdown kaum noch zu bezahlen ist, der darf nicht allein auf die fortlaufende Analyse der Ansteckungsraten verweisen und, wie man häufiger hört, „auf Sicht fahren“. Gegenwärtig fahren wir auf Sicht gegen die Wand.

Mit Exit-Strategie ist ausdrücklich nicht das haarsträubende Durcheinander gemeint, das die Bundesländer anrichten. Absprachen, die sich bei konstanter Faktenlage binnen fünf Tagen in Luft auflösen, nerven nicht nur den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil. Sie sind exakt das Gegenteil dessen, was unser Land, was jedes Unternehmen jetzt braucht. Wenn es auf diesem Niveau weitergeht, wenn sich der Eindruck von Sprachlosigkeit und Konfusion verfestigt, wird unser politisches System Schaden nehmen. Wie das ganze Land stehen auch die Regierungen und Parlamente mitten in der größten Belastungsprobe seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland.

Notwendig ist ein koordinierter Plan, wie das öffentliche Leben und der Seuchenschutz überein zu bringen sind, wie Schulunterricht wieder möglich wird, wie Fabriken und Büros zu normaler Arbeit zurückkehren können. Darunter geht es nicht. Bei aller Freude darüber, was digitale Technik im Home Learning oder Home Office möglich macht: Der Verlust an Kommunikation und Effizienz ist selbst bei denen enorm, die Zuhause arbeiten können. Und für den Werker am Band bei Volkswagen gibt es diesen Ausweg ohnehin nicht.

Mehr noch: Der Exit, der in Wirklichkeit ein Wiedereinstieg ist, muss mindestens auf europäischer Ebene koordiniert stattfinden. Der VW-Betriebsrat hat diese Woche einen Offenen Brief verfasst, der sich wie ein Pflichtenheft für die Europäische Kommission und die Regierungen aller Mitgliedsstaaten liest. Drei Viertel der Volkswagen-Belegschaft sind in Europa zuhause. Niemand kann besser beurteilen, wie nötig gemeinsames Vorgehen ist, als die Menschen, die sich tagtäglich in international tief verflochtenen Lieferbeziehungen bewegen.

Möge der Brief der Arbeitnehmer ein Weckruf für die allzu sehr in ihren nationalen Befindlichkeiten gefangenen Regierungen und Parlamente sein. Der Wiederaufbau der Wirtschaft nach dem Corona-Schock kann nur gemeinsam gelingen, mit guter Abstimmung, Solidarität und hoher Effektivität.

Mag man es Europa zutrauen? Ausgerechnet der Brexit gibt Anlass zu gewissen Hoffnungen. Als es ans Eingemachte ging, war die EU handlungsfähig. Genau das muss sie auch jetzt beweisen.