„Natürlich muss es Diskussionen geben. Auch die Meinung einer Kanzlerin ist mitnichten sa­krosankt.“

Ist die Krise schon vorbei? Wenn man sich Bilder aus deutschen Innenstädten vom Wochenende anschaut, könnte man meinen, das Virus sei besiegt. Abstand halten – das erscheint vielen offenbar nicht mehr so relevant.

Doch die Krise ist mitnichten gebannt. Die Sehnsucht nach Lockerungen ist zu Recht riesig. Doch: Corona ist kein vorübergehender Spuk, nur weil die medizinische Krise in Deutschland bislang moderat verläuft. Hierzulande trauern über 4500 Familien um ihre Angehörigen. Ein Impfstoff ist nicht in Sicht, wirksame Medikamente noch nicht auf dem Markt. Insofern hat Kanzlerin Angela Merkel recht, wenn sie an die Vernunft der Menschen appelliert und fordert, sich an die bestehenden Regeln weiter strikt zu halten. „Die Situation ist trügerisch“, sagt die Kanzlerin, und die meisten Wissenschaftler pflichten ihr bei. Allerdings ist ihre Warnung vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ unnötig. Da die Regierungschefin die Verantwortung dafür trägt, wie das Land insgesamt durch die Krise kommt, ist ihre Einlassung verständlich. Doch natürlich muss es Diskussionen geben. Am besten laut und heftig. Auch die Meinung einer Kanzlerin ist mitnichten sa­krosankt. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft müssen diskutieren, abwägen, Entscheidungen treffen und notfalls auch wieder zurücknehmen.

Deswegen braucht es Debatten, verschiedene Meinungen, Protest und auch unpopuläre Entscheidungen. Doch ein Überbietungswettbewerb an Lockerungen aus Gründen des eigenen politischen Profits, den darf es nicht geben. Er kostet im schlimmsten Fall Menschenleben. Politiker müssen auch die im Blick haben, die auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen. Deswegen: Lockerungen ja, Diskussionen unbedingt, aber mit Distanz zum Nächsten. Bis auf Weiteres. So schwer es fällt.