Lockerungen sind nur nach gründlicher Vorbereitung und mit größter Vorsicht denkbar.

„Wir können Widerstand überwinden, wenn unsere Liebe stark ist.“ The Eagles, „The Long Run“

Corona nervt. Dieses Schlangestehen vor dem Supermarkt, bis wieder ein Einkaufswagen frei ist. In den Läden das ungute Gefühl, dass der Seuchenschutz leidet, wenn wir uns mit (manchmal) frisch desinfizierten Einkaufswagen dann doch wieder in schmalen Gängen aneinander vorbeiquetschen. Der Lagerkoller bei Kindern, die endlich mal wieder richtig zusammen Fußball spielen wollen. Das Fernweh, das jetzt nicht gestillt werden kann.

Corona tut weh. Zu Ostern nicht einfach mal zu Oma und Opa fahren, kranke Freunde und Verwandte nicht besuchen, liebe Menschen nicht in den Arm nehmen zu können. Kollegen nicht zu treffen. All das ist schwer zu ertragen.

Und dann wächst bei vielen die Sorge, wie es weitergeht. In den privaten Haushaltskassen wachsen die Löcher: Bei Kurzarbeit können bis zu 40 Prozent des Familieneinkommens fehlen, bei Selbständigen ist es häufig noch schlimmer, trotz der schnellen Hilfe von Bund und Land. Die Wirtschaft ächzt unter dem Shutdown. Die Aussage von VW-Chef Herbert Diess, wonach Volkswagen pro Woche zwei Milliarden Euro in der Kasse fehlen, ist ein schrilles Warnsignal. Und das ist nur die Zahl eines einzigen Unternehmens, wenn auch eines besonders wichtigen.

Jetzt hat auch die Europäische Union tief ins Säckel gegriffen. 500 Milliarden Euro sind unvorstellbar viel Geld – und doch nur ein Notbehelf, gemessen an den ökonomischen Verwerfungen in der Gemeinschaft. Und auch dieses Geld fällt nicht vom Himmel. Der scheidende IG-Metall-Chef Hartwig Erb sagt in unserem am Dienstag erscheinenden Interview: Das Geld ist in Wirklichkeit ja gar nicht da. Wir werden das alles wieder erwirtschaften müssen.

Wie lange kann es also noch so weitergehen? Langsam dämmert allen, dass Kurzarbeit nicht einfach nur ein Werkzeug ist, das die Bundesregierung klug nutzt. Kurzarbeit ist und bleibt der letzte Schritt vor der Massenentlassung. Es ist gut, dass wir solche Möglichkeiten haben. In den USA verloren binnen drei Wochen fast 17 Millionen Menschen ihren Job – Resultat einer Ideologie, die soziale Marktwirtschaft für eine Ausgeburt des kommunistischen Dämon hält. Aber ewig hält auch unser System diese Beanspruchung nicht aus.

Wann kommen die Lockerungen, auf die viele warten? Wenn man hartnäckig genug fragt, bestreitet niemand, dass dieser Shutdown nur noch für eine sehr begrenzte Zeit durchzuhalten ist. Wer den Seuchenexperten, aber auch den Fernsehansprachen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zugehört hat, der mag dennoch nicht an ein schnelles Ende glauben. Tatsächlich kann man sich an den Fingern einer Hand abzählen, was geschehen würde, wenn wir binnen ein, zwei Wochen in unser ganz normales Leben und Arbeiten zurückkehren würden.

Millionen zusätzlicher Kontakte sind Millionen Infektionsgelegenheiten. Die Zahl der Infektionen und Erkrankungen würde steil nach oben schnellen. Tausende von Toten wären zu befürchten, unser Gesundheitssystem würde in die Knie gehen, so hart unsere Ärzte und Pfleger auch arbeiten. Und damit stünden wir genau dort, wo wir vor dem Shutdown waren.

Wer nicht will, dass bei uns Tote aus ihren Wohnungen getragen und von den Bürgersteigen geborgen werden, wie es gerade in Lateinamerika geschieht, der muss einen anderen Weg finden.

Die Kritik am Shutdown, der jetzt an der einen oder anderen Stelle zu hören ist, hält einer Überprüfung zwar nicht stand. Wer von „völlig überzogenen Maßnahmen“ spricht, muss sehr viel Kraft aufwenden, um die Bilder von Menschen zu verdrängen, die in Norditalien elendig ersticken, weil niemand mehr da ist, der ihnen helfen kann. Die im Vergleich relativ niedrigen Infektions- und Todesopferzahlen in Deutschland sind kein Indiz für Fehlentscheidungen, sondern der Beweis ihrer Richtigkeit.

Wahr ist aber, dass der Shutdown nichts anderes ist als eine Notbremse, zu der es keine Alternative gab, weil unser Land wie die ganze Welt nicht auf dieses verfluchte SARS-CoV-2 vorbereitet war. Nicht einmal banale Schutzmasken und -anzüge stehen zur Verfügung, Beatmungsgeräte und Intensivbetten sind viel zu knapp. Die grotesken Versäumnisse bei der Vorsorge müssen dringend behoben werden. (Und nach überstandener Corona-Krise sollte uns interessieren, warum sich ein Katastrophenszenario zunächst ungehindert entfalten konnte, das Wissenschaftler vor Jahren vorausgesagt hatten. Die Regierungsdokumente sind inzwischen öffentlich.)

Und auch in den Fabriken, Büros und Geschäften muss noch viel geschehen, bevor wir zu halbwegs normalem Wirtschaften zurückkehren. Betriebsrat und Management von Volkswagen haben gerade Vereinbarungen geschlossen, die ein Vorbild weit über die Industrie hinaus sind. Der Schutz der Mitarbeiter bestimmt den Kurs: In einer Industrie, die sonst hart um jede Sekunde Produktionszeit kämpft, spielt Wirtschaftlichkeit nicht mehr die erste Geige. Nur so wird es gehen.

Lockerungen sind nur nach gründlicher Vorbereitung und mit größter Vorsicht denkbar. Ohne Zweifel wird es Bereiche des öffentlichen Lebens geben, in denen es noch über Monate hinweg so bleiben muss, wie es gerade ist. Wir alle werden damit nur zurechtkommen, wenn wir Vernunft, Rücksicht und Verständnis üben.

Frohe Ostern? Die Feiertag mögen eine Gelegenheit sein, uns auf die Zeit einzurichten, die noch vor uns liegt. Mögen wir so gut durch diese Krise kommen, dass uns Corona im Gedächtnis bleibt als eine Prüfung, auf die wir nicht vorbereitet waren und die wir dennoch gemeinsam bestanden haben.