„Und was kommt jetzt? Die Merkel-CDU steht vor dem Ende, weil sie ohne Merkel nicht sein kann.“

„Gutes Personal“, sagte die sprichwörtliche alte Gräfin, „ist ja so schwer zu bekommen!“ Recht hat sie. Wer klug ist, geht mit guten Leuten achtsam um.

Falls Sie sich fragen, was der Wert solcher Gemeinplätze sei: Blicken Sie bitte kurz nach Berlin. Während man in der Wirtschaft vom „War for talents“ spricht, vom Krieg um die besten Köpfe, scheint in der Politik eher der „War against talents“, der Krieg gegen die besten Talente, geführt zu werden. Die SPD servierte mit Sigmar Gabriel ihren mit Abstand klügsten Kopf so eiskalt ab, als sei er eine sauer gewordene Hühnerbrühe. Die CDU verliert gerade ihre Hoffnungsträgerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Kramp-Karrenbauer hat sich selbst entschieden. Sie will Kanzlerin nicht werden und Parteivorsitzende nicht bleiben. Aber was sollen wir von den erleichterten Reaktionen innerhalb der CDU halten? So viele Hochkaräter haben die Christdemokraten nicht. Eine Partei, die einen Paul Ziemiak als Generalsekretär braucht, sollte das wissen. Entschuldigung, wenn das jetzt ein wenig nostalgisch klingt. Aber auf diesem Posten standen vorher Männer und Frauen wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Volker Kauder, Angela Merkel und Volker Rühe.

Das war gut so, denn wenn dieser Zuchtmeisterposten nicht exzellent besetzt ist, läuft eine Partei schnell aus dem Ruder. Was zu beweisen war.

Frau Kramp-Karrenbauer war, als treue Gefolgsfrau Angela Merkels, Knall auf Fall aus dem Saarland in die CDU-Zentrale und später an die Parteispitze und ins Kabinett gewechselt. Not war der Gebieter: Der Druck auf Merkel war zu groß geworden. Man machte Merkel für das Aufkommen der AfD und das schlechte Erscheinungsbild der Koalition verantwortlich. AKK setzte sich gegen den Wiederkehrer Friedrich Merz durch – aber ihr guter Ruf als erfolgreiche Landesmutter trug sie nicht weit. Auf schwierigem Terrain geriet sie ins Stolpern. Und innerhalb wie außerhalb der Union waren genügend Beleuchter verfügbar, die ihre Fehler in grelles Licht tauchten.

Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht zuletzt an sich und ihrem Apparat gescheitert. Die Frage ist, ob sie jemals eine Chance hatte. Das Berliner Parkett ist so glatt geworden, dass vermutlich selbst Helmut Kohl die Balance verloren hätte. Unklare Machtverhältnisse, politische Demoskopie-Hörigkeit, rücksichtsloser persönlicher Ehrgeiz einiger Akteure und nicht zuletzt jener Teil der Hauptstadt-Presse, der sich in kaum noch nachvollziehbaren Kampagnen erschöpft, das sind furchtbare Arbeitsbedingungen.

Vielleicht war Kramp-Karrenbauer eine Fehlbesetzung. Gewogen und für zu leicht befunden. Aber das Muster wirkt vertraut: Ähnlich war es Kurt Beck ergangen, als er sich nach Berlin aufmachte und SPD-Vorsitzender wurde. Es dauerte nur länger. Warum wohl winkt der Niedersachse Stephan Weil dem Zug nach Berlin lieber nach als ihn zu besteigen? Es gibt manchen, der so denkt wie er.

Viele sagen, Kramp-Karrenbauer sei an Thüringen gescheitert. Sie habe die Partei nicht im Griff. Die CDU-Fraktion im Erfurter Landtag wollte ja gegen den dringenden Rat der Bundespartei unbedingt Familie Superschlau spielen und fand sich in einer Abstimmungskoalition mit der AfD wieder. Schädlicher hätte sie sich kaum verhalten können.

Wenn man der Seehofer-These folgen wollte, dass die AfD „staatszersetzend“ sei, dass sie die Demokraten vorführen, diskreditieren und damit aus dem Amt drängen wolle, müsste man ihr gratulieren. Denn das ist geschehen, genau so, wie es im Lehrbuch antidemokratischer Agitation steht.

Allein: Erfurt war nur der Anlass für AKKs Abgang. Das Verhalten der Erfurter CDU-Abgeordneten und ihres heillos überforderten Chefs Mike Mohring lässt sich nur vor dem Hintergrund einer tief verunsicherten, sich ihrer Richtung kaum noch bewussten Partei erklären. Zwischen der sozialdemokratisierten Merkel-CDU und den stramm konservativen Flügel, der sich – sei es aus Not, sei es aus Neigung – Friedrich Merz als Heilsfigur erwählte, gibt es wenig Verbindendes. Selbst Angela Merkel überbrückt die Gegensätze nur mühsam. Halb ist sie schon aus der Tür, und ihre im Raum verbliebenen Verbündeten sind blass um die Nase und blass im Profil.

Und was kommt jetzt? Die Merkel-CDU steht vor dem Ende, weil sie ohne Merkel nicht sein kann. Die SPD warnt nun vor einem Rechtsruck – dabei müsste sie sehen, dass die Union verzweifelt auf der Suche nach irgendeiner Richtung ist. Den Sozialdemokraten geht es ja selbst nicht anders. Die CDU, früher als „Kanzlerwahlverein“ ohne innere Festigung gescholten, braucht eine ordnende Hand an der Spitze. Die Suche läuft.

Einer der Konservativsten der Union im Norden, der Braunschweigische CDU-Landesvorsitzende Frank Oesterhelweg, hat gerade Friedrich Merz in eine ziemlich große Halle eingeladen – und weiß sich vor Kartenwünschen kaum zu retten. Kann man sich vergleichbares Interesse bei Jens Spahn oder Armin Laschet vorstellen, die jetzt hoch gehandelt werden?

Friedrich Merz könnte sich dieses Mal wohl durchsetzen, denkt man – und zuckt gleich wieder zurück. Wer vor dem Parteitag äußerst kritische Interviews gibt und dann im Saal das Hohelied der Loyalität singt, wirkt wie ein Palastrevolutionär, den die Furcht übermannte.

Man fühlt sich an Karl Valentin erinnert: „Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“ Traut man Merz das Stehvermögen zu, das diese Aufgabe heute mehr denn je erfordert? Noch dazu auf einer gemeinsamen Wegstrecke mit Angela Merkel, die wir bei Treffen des Merz-Fanclubs vergeblich suchen?

Die CDU wird sich kein Klinsmann-Risiko einhandeln wollen. Bevor einer mit großen Visionen und geringer Kondition neues Chaos stiftet, könnte die Partei auf Armin Laschet setzen. Der hat schon mal eine Wahl gewonnen, weiß einen großen Landesverband hinter sich und gilt als Politiker, der Menschen und Positionen zusammenbringt.

Gute Leute wie der Schleswig-Holsteiner Daniel Günther und der Niedersachse Bernd Althusmann werden ja in ihren Bundesländern dringend gebraucht.

Der Rat der alten Gräfin wäre vermutlich: Im Zweifel nehme einen, der hart und beständig arbeitet. So einer schafft Vertrauen. Und entzieht Demagogen den Boden.

An dieser Stelle wollen wir künftig die Wochenkommentare von NDR Info veröffentlichen. Den Kommentar von Armin Maus finden Sie im Internet unter

https://bit.ly/2uH9bPs.