„Ein Kollege der äthiopisch-orthodoxen Kirche sagte: ,Zweifelt so viel ihr könnt, glaubt nichts, wenn ihr das meint: Wir glauben für euch mit!’“

Können Sie den Schülern kurz und knapp erklären, warum sie jetzt Ferien haben?

Ja, können wir erklären, warum eine Gesellschaft sich christlicher Feiertage bedient, um frei zu machen; wissen wir eigentlich noch, warum der Sonntag eigentlich kein Alltag ist? Ja, das Wissen um biblische Inhalte schwindet, allen noch so gut gemeinten Bildungsveranstaltungen zum Trotz; und selbst das ‚allwissende Internet‘ hilft der Dummheit nicht auf.

Wir haben eben zu viel um die Ohren tagaus tagein, sind mit Tun und Lassen, mit Erfolg und Niederlage, mit Geld und Kaufen, Eventhopping („ich war dabei…“), Wellness und Klimatischem, mit Parolen und deren Entlarvung vollauf beschäftigt.

Kein Wunder, dass dabei oft genug die Grundlagen menschlichen Lebens, die Voraussetzungen unseres kleinen, aber feinen Lebensweges aus dem Blick geraten. Wir bauen uns Systeme von Selbstverständlichkeiten und vergessen, dass schon der nächste Augenblick nicht selbstverständlich ist, wenn plötzlich irgendetwas in unser Leben hineinrasselt: Krankheit, Kündigung, Beziehungsnotstand, Schuld oder Schulden, Atem- oder Seelennot, gar der ‚plötzlich und völlig unerwartete‘ Tod.

Und dann sind sie wieder da, diese existentiellen Fragen: Wieso, weshalb, warum, woher, wohin? Was soll das Ganze eigentlich? Und gibt es da einen Sinn für all das Mühen, Tun und Treiben dieser paar Lebensjahrzehnte? (Die ,Sesamstraße’ hatte recht: Wer nicht fragt, ist und bleibt dumm.)

Das Drum und Dran verdeckt den Inhalt allzu leicht

Da sollten, müssten, könnten eigentlich alle mehr oder weniger gläubigen Menschen dankbar sein, dass solcherlei Tage im Kalender warten, die wir ‚Feiertage‘ nennen, ohne recht zu wissen, was denn nun eigentlich zu feiern oder auch wie denn nun zu feiern (außer zu viel essen und trinken oder schon wieder mal abhängendes Chillen) sei. Das Drum und Dran verdeckt allzu leicht und gern den Inhalt, das kennen wir ja von vielerlei Gelegenheiten, wie uns dann ausgerechnet die Worte fehlen, wenn wir jemandem, zum Beispiel am Geburtstag, sagen sollen, was wir denn nun wirklich wünschen; da kommt dann ‚Alles Gute oder Bleib so, wie du bist‘ bei raus.

Als wir dieser Tage hier in Addis Abeba darüber sprachen, wie vielen jungen Leuten in Deutschland „Weihnachten“ nichts sagt, nicht mal mehr die Geschichte von Bethlehems Stall und der wunderbaren Botschaft von des Schöpfers Ehre und dem Frieden, der auf Erden möglich ist, bekannt ist – ja dass es viele Zweifler, Kritiker, auf Abstand zu Kirche und biblischer Botschaft Gegangene gäbe, sagte mir ein Kollege der äthiopisch-orthodoxen Kirche schmunzelnd: „Zweifelt so viel ihr könnt, glaubt nichts, wenn ihr das meint: Wir glauben für euch mit!“

Da bekommt das Wort ‚Entwicklungshilfe‘ doch noch mal einen anderen Klang. Ja, man kann über Afrika vieles erzählen und meinen; wir Europäer haben trotz jahrhundertealter Versuche die Seele dieses bemerkenswerten Kontinents immer noch nicht verstanden. Da kommen sie dann hier reingeflogen, die Entwicklungshelfer, Wirtschaftsleute, Diplomaten, Coacher, Volontäre mit ihrem unaufgeräumten Glaubensleben und treffen auf versperrte Straßen, weil die Zahl der zur Kirche gehenden, weiß gekleideten Menschen einfach Platz braucht. Sie erleben dreimal in der Woche nur Fastenspeisen essende Gesprächspartner (Fleischkonsum und zuviel Gülle sind hier nicht unsere Probleme!) und staunen über so viel im Alltag spürbare Frömmigkeit, dass ihnen die Sprache wegbleibt.

Afrika glaubt – und nur so halten die Menschen aus, dass im materiellen Sinn vieles dringend verbesserungswürdig ist. Wer hier als Gast des Landes, als „ferenji“ (Ausländer von englisch „foreigner“) Weihnachten feiert, der hat eine wunderbare Chance: hier feiert man Weihnachten nach okzidentalem Brauch am 24. und 25. Dezember und nach orientalem Brauch am 6. und 7. Januar, es gibt also eine Zeit „zwischen Weihnachten“, genug Platz, um bei äußerlich spärlichem Schmuck sich innerlich mal wieder von der Friedensbotschaft schmücken und Geist und Seele neu einkleiden zu lassen, damit neue Kraft, neue Ideen und frischer Geist dem Frieden unter den Menschen und ihren Nationen aufhilft.

Was braucht es denn mehr als Friedensbringer?! Unser Premierminister Dr. Abiy Ahmed – der Träger des 100. Friedensnobelpreises – gebraucht in seiner „medemer“ genannten Botschaft stets die Worte „Liebe, Versöhnung, Glauben und Vertrauen“, und jeder versteht, das ist wahre Politik, denn sie betrifft die gesamte „polis“, das gesamtgesellschaftliche Leben.

Morgen soll nicht nur die Wiederholung von gestern sein

Uns in weihnachtlicher Freiheit (auch wenn’s nur die paar arbeitsfreien, ferienähnlichen Tage sind) innerliche Freiräume durchpusten zu lassen, damit morgen nicht nur die Wiederholung von gestern ist, und all das Drum und Dran der letzten Wochen nicht (wieder mal) nur im Familienkrach endet, – dass man selbst den Nachrichten in allen Medien nach Weihnachten anmerkt, dass der politische Leierkasten mal ‘ne neue Walze aufgelegt hat von Versöhnung, Frieden, Liebe, die möglich sind, und dass Weihnachten immer noch gelte – das wünsche ich von ganzem Herzen zusammen mit allen äthiopischen Mit-Glaubenden.