„Eine Art Öko-Revolution von oben würde niemandem dienen und nur die Leugner der Klimakatastrophe stark machen.“

Nicht in der Zahl, in der Einigkeit liegt unsere größte Stärke. Thomas Paine

Eine Niedersächsin an der Spitze einer der wichtigsten europäischen Institutionen – das ist schon mal bemerkenswert. Und dann auch noch eine, die Furore macht! Wer Ursula von der Leyen kennt, der konnte sich ausrechnen, dass sie keine verwaltende EU-Kommissionspräsidentin sein würde. Und so geschah’s. Mit ihrer Idee vom „Green Deal“ setzt sie sich an die Spitze der Klima-Bewegung. Bisher war Europa ein buntes Konglomerat unterschiedlichster klimapolitischer Aktivitäts- und oft genug Passivitätsgrade, Konzepte und Geschwindigkeiten. Ernst Albrechts Tochter schob das Thema auf der Prioritätenliste nach ganz oben, ähnlich wie es UN-Generalsekretär António Guterres tat. Sie fand dabei zunächst Unterstützung bei der neuen Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, die ebenfalls die erste und eine besonders starke Frau auf diesem wichtigen Posten ist.

Und nun haben sich auch die Staats- und Regierungschef nach, wie es passenderweise heißt, „hitziger“ Debatte darauf verständigt, dass die EU ab 2050 keine zusätzlichen Klimagase mehr in die Umwelt abgeben will. Das ist ein bedeutender Schritt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Situationen in den Mitgliedsstaaten. Polen, das von der Kohle abhängt, hat einen weiteren Weg vor sich als andere.

Für die Kritiker der nach ihrer Meinung bisher völlig unzureichenden Aktivitäten der EU-Staaten steckt im„Green Deal“ ein Zeichen der Hoffnung. Angesichts der von den meisten Wissenschaftlern vorausgesagten dramatischen Klimaveränderungen erschien ihnen das Handeln auf unserem Kontinent als unverantwortlich. Sie sind überzeugt, dass die bisher beschlossenen Maßnahmen – auch der Bundesregierung – nicht ausreichen, um den Temperaturanstieg auf unserem Planeten zu begrenzen. Von der Leyen, der man gelegentlich vorwarf, sie neige zum Solo, bewegt sich auf dem Boden des Konsenses. So scheint es.

Es steht aber die Frage im Raum, wie weit die Übereinstimmung tatsächlich reicht. Und zwar nicht auf den Kabinettsetagen, sondern den Bürgersteigen Europas. In den zahlreichen Mails, Posts und Briefen dieser Woche fand ich häufig den Begriff „Klima-Hysterie“, nicht selten verbunden mit einem Seitenhieb auf „schulschwänzende Jugendliche“ und mit der Sorge, dass unsere Wirtschaft bei einem dramatischen Kurswechsel Schaden nehmen könnte. Die Autoren reichten vom Münchner Musikalienhändler bis zum Braunschweiger Unternehmer. Der Diskussionsbedarf ist offensichtlich.

Die Klima-Debatte, die die AfD diese Woche in der Braunschweiger Stadthalle veranstaltete, dürfte einen Nerv getroffen haben. Andreas Schweiger, Leiter unseres Wirtschaftsressorts, berichtet von einer sachlichen Diskussion zwischen dem Wissenschaftler, der alarmierenden Klimaberechnungen skeptisch gegenübersteht, und dem, den Sorge umtreibt. Unsachlich waren nur Demonstranten, die anderen Bürgern den Zutritt erschwerten und mit dem Anspruch auftraten, sie dürften von den Besuchern Rechenschaft verlangen. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit, dass sich Interessierte erklären müssten, warum sie die Begründung politischer Standpunkte kennenlernen möchten.

Sollte der „Green Deal“ auf eine Art Öko-Revolution von oben hinauslaufen, wäre niemandem gedient. Wir sprechen hier über das kleine Einmaleins der Demokratie: Man kann nicht von Brüssel und den Hauptstädten den Bürgerinnen und Bürgern etwas überstülpen, dessen Sinn und Berechtigung sie nicht sehen. Und es geht um verantwortbare, sinnvolle Schritte. Radikale Maßnahmen, die energieintensiven Unternehmen wie der Salzgitter AG die Luft nehmen, verbessern nicht das Weltklima. Sie helfen nur Herstellern anderswo auf der Welt, deren Verfahren mehr Energie fressen und mit Emissionsproblemen behaftet sind.

Die Entwicklung des Weltklimas legt den Gedanken nahe, dass schnelles Handeln vonnöten sei. Aber wer darüber die Konsensbildung vernachlässigt, wird am Ende die Klimakatastrophen-Leugner stark machen. Auch bei denen, die durchaus bereit sind, im Sinne der Chancen künftiger Generationen umzusteuern, die aber radikale Wege nicht blind mitgehen wollen.

Kluge Überlegung geht vor Aktionismus, Folgenabschätzung wird extrem wichtig. Sehr bedenkenswert ist, was Lisa Nienhaus in einer Kolumne für „Zeit online“ über den Einsatz der Europäischen Zentralbank für den „Green Deal“ schreibt. Sie sieht die Gefahr, dass die EZB zu wenig auf ihre Eigenständigkeit achten könnte, dass sie mit der Geld-Druckpresse noch stärker zum Finanzier der Politik der Kommission werden könnte. Und das möglicherweise ohne durchgreifende Wirkung für die Umwelt. In der Tat ist viel Staatsgeld für Programme ausgegeben worden, die heute sehr kritisch gesehen werden, von der Kohle über den Diesel bis zum Sonnenstrom.

Ursula von der Leyen hat bisher sehr wenig Konkretes zum „Green Deal“ gesagt, „weil sie schlau ist“, wie die „Welt“ schreibt. Die Belastbarkeit des Klima-Konsenses wird erst sichtbar, wenn volkswirtschaftliche Kosten ins Spiel kommen. Wenn der Preis der Umweltbelastung sich auf Tank- und Heizrechnungen niederschlüge, wenn Unternehmen die Umweltkosten in ihrer Bilanz darstellen müssten – erst dann schlüge die Stunde der Wahrheit. Zugleich wäre dies der Moment, in dem die Kraft der Marktwirtschaft für den Klimaschutz nutzbar würde. Wenn Umweltschonung Kostenvorteile bringt, werden Investitionen wirtschaftlich. Dann kommt es zu Innovationen, die unserem Planeten mehr nutzen als alle Verbote, die grünen Fundis einfallen könnten.

Mit von der Leyen ist eine wirksame europäische Klimastrategie wahrscheinlicher geworden. Möge sie um Himmels Willen von Vernunft gelenkt und auf die Zustimmung der Bürger gegründet sein.