Niemand, der diesen Abend erlebt hat, wird stumm bleiben, wenn einer über Krieg als Mittel der Politik schwadroniert.

Aber wenn wir nicht mehr wollen: dann gibt es nie wieder Krieg! Kurt Tucholsky

Für viele unserer Leser war es kein einfacher Weg. Ein ganzer Abend, der sich mit den Bombardement Braunschweigs beschäftigt. Ein ganzer Abend, an dem wir über die Angst, das Leiden, die bis heute andauernde tiefe Erschütterung der Seelen sprachen.

Der Abstand von 75 Jahren hilft nicht viel. „Als das Flugzeug auf mich zuflog, dachte ich, dass sich jeden Augenblick die Bombenschächte öffnen. Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen“, berichtete ein Leser. Dieses Erlebnis liegt erst wenige Jahre zurück. Der Schrecken ist lebendig, der Bombenkrieg, den dieser hochbetagte Mann in jungen Jahren durchlitten hatte, ist noch immer bei ihm.

Das Leserforum zur Bombennacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944 mit dem Journalisten und Zeitzeugen Eckhard Schimpf war wegen dieser Offenbarungen eines der berührendsten Erlebnisse in meinen über 30 Jahren als Journalist. Da standen neben Eckhard Schimpf Männer und Frauen auf, um zu berichten, was man gerne aus seinem Gedächtnis löschen möchte, aber nie vergessen kann. Über den Hunger, das Leben im Bunker, den Verlust jeder Sicherheit. Man kehrt aus dem Dunkel der Schutzräume zurück und hat sein Zuhause verloren. Der Nachbar, der gerade noch vor dem Haus gesessen hatte, ist tot, zerrissen von einer Fliegerbombe.

Viele aus der Kriegsgeneration hatten diese Erlebnisse über lange Zeit tief in sich vergraben. Eckhard Schimpf sagt: „Ich habe 40 Jahre gebraucht, um mich damit beschäftigen zu können.“ Dass Zeitzeugen die Kraft fanden, beim Leserforum vor Hunderten von Menschen zu sprechen, wiegt schwer.

Viele kamen mit ihren Kindern und Enkeln. Ihnen und den anderen Angehörigen der nachfolgenden Generationen haben sie den besten Dienst erwiesen. Nach so vielen Jahren in Frieden und Freiheit, Wohlstand und Sicherheit könnten wir den Frieden für selbstverständlich halten. Er ist es nicht. Der Politologe und Schriftsteller Karl Peltzer schrieb: „Ein Krieg ist meist die Folge eines vorangehenden Friedens gewesen. Man sollte daher nicht von Kriegsverbrechern, sondern von Friedensverbrechern sprechen.“ Was er meint: Im Frieden entstehen die Gründe für den nächsten Krieg – wenn wir der Gefahr leichtfertig begegnen.

Niemand, der diesen Abend erlebt hat, wird stumm bleiben, wenn ein politischer Abenteurer über Krieg als Mittel der Politik schwadroniert. Keiner wird vor einem Kriegstreiber salutieren.

Die Bilder aus Syrien, sagt Eckhard Schimpf, kämen ihm ganz vertraut vor – die Schauplätze ändern sich, das Elend bleibt das selbe. Trumps Verrat an den kurdischen Milizen, die gerade noch seine willkommenen Verbündeten gegen die islamistischen IS-Verbrecher waren, ist nur ein weiterer Stein für den Weg in die nächste Katastrophe. Er löst neue Unsicherheit, neues Chaos, neue Flüchtlingsströme aus – und fügt sich in die politischen Idiotien der vergangenen Jahrzehnte, in denen Politiker versuchten, Konflikte mit Smart Bombs zu lösen und von der Bühne schlichen, wenn sie – natürlich – das Gegenteil erreicht hatten. Die Empörung wächst noch, wenn man die Bilder und Berichte vor dem Hintergrund der furchtbaren Erfahrungen der Menschen im Zweiten Weltkrieg sieht.

Nie wieder Krieg? Beängstigend viele Zocker und Hasardeure bekleiden heute verantwortungsvolle Positionen. Zu den wenigen halbwegs berechenbaren Größen der internationalen Politik gehört die Europäische Union. Das zeigt einerseits den Wert dieser Gemeinschaft für die innere und äußere Sicherheit. Es richtet zugleich aber hartes Licht auf ihre Leistungsbilanz. Die EU fällt mangels inhaltlicher Geschlossenheit und organisatorischer Zerklüftung als Gestalter weitgehend aus und begnügt sich zu oft mit der Rolle dessen, der nicht jeden Wahnsinn mitmacht. Wer glaubt, dass das genüge, wird sich noch mit ganz anderen Problemen als Handelskriegen und neuen Flüchtlingsströmen auseinandersetzen müssen.

Krieg entsteht im Frieden. Aber wann entsteht Frieden? Wohl nur dann, wenn Klugheit und Verantwortung schwerer wiegen als der kurzfristige Erfolg, die Befriedigung der eigenen Klientel und die Sicherung der persönlichen Macht. In diesem Jahr hat das Osloer Nobelkomitee eine kluge Entscheidung getroffen, die dem Rang des Friedensnobelpreises gerecht wird. Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali nämlich hat – und das unterscheidet ihm von dem anderen sehr früh ausgezeichneten Staatsmann Barack Obama – kompromisslos, mit raumgreifenden Schritten und unter großen Risiken für sich selbst den Weg des Friedens eingeschlagen. Joachim Hempel, der emeritierte Domprediger und Äthiopienkenner, sagt: „Er ist ja erst anderthalb Jahre im Amt. Seitdem hat er die Einparteienherrschaft beendet und einen tiefgreifenden Wandel angestoßen. Dass er sich als erste Amtshandlung ins Flugzeug gesetzt hat, um mit dem Erzfeind Eritrea einen seit 40 Jahren andauernden Kriegszustand zu beenden, ist eine echte Leistung. Dieser Mann ist ein Glücksfall für die äthiopische Gesellschaft.“

Die Leistung des Nobelkomitees besteht darin, keine bloß populäre, sondern eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. Denn es hat einen Mann ausgezeichnet, der die Maßstäbe politischer Qualität in Ordnung bringt. Diejenigen Staatsmänner und -frauen, die heute zwischen Deal und Demoskopie herumtaumeln, schrumpfen neben diesem Visionär auf Zwergenformat. Es wäre sehr zu wünschen, dass Abiy Ahmed Alis Beispiel überfälliges Nachdenken auslöst – und bei dem Teil der Menschheit, der das Glück hat, in einer Demokratie zu leben, den Anspruch an die Politik steigert, die im Namen des Volkes gemacht wird.