Wer anderes wäre auf den Gedanken gekommen, eine Industriestadt durch das Projekt „Autostadt“ in eine touristische Zukunft zu führen?

Der Preis der Größe heißt Verantwortung.Winston Churchill

Eine Region hielt den Atem an: Ferdinand K. Piëch ist tot. Jedem, bei Volkswagen beschäftigt oder nicht, war klar, dass damit eine Ära endet.

Piëch stand längst nicht mehr in Verantwortung, aus dem Unternehmen hatte er sich zurückgezogen. Der Konflikt, der mit einem einfachen Satz begann („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“), führte letztlich zur Trennung im Unfrieden. Doch in einem Moment, in dem uns Menschen die Endlichkeit unseres Erdenlebens mit brutaler Klarheit deutlich wird, denken wir nicht an Mandate und Funktionen. Wir denken an das Werk eines Mannes.

Ferdinand K. Piëch hat Volkswagen geprägt wie kein anderer. Diese Botschaft tragen sämtliche Nachrufe, vom Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen über die der Städte Wolfsburg und Braunschweig, deren Ehrenbürger Piëch ist, und natürlich des Unternehmens, des Managements wie der Belegschaft. Es spricht für den Anstand der Kondolierenden wie für den Rang des Verstorbenen, dass nicht die Kämpfe, sondern die unbestreitbaren Verdienste Gegenstand der Nachrufe waren und sind.

Was für ein Lebenswerk! Ohne Piëch wäre Audi kaum zur Augenhöhe mit den Premium-Marken aufgestiegen. Ohne ihn gäbe es nicht die Markenwelt, die Volkswagen vom Alltags- bis zum glamourösen Luxusvehikel zum Vollversorger macht: Auch Bentley und Bugatti sind „Volkswagen“. Ohne ihn wären Seat und vor allem Skoda nicht zu ernstzunehmenden Komplementären – mancher Wolfsburger seufzt auch: Konkurrenten – der Kernmarke VW aufgestiegen. Ohne ihn gäbe es eine Vielzahl technischer Innovationen nicht, die maßgeblich zum Ruf des Konzerns als Technologieführer beitrugen. Als Piëch an die Spitze des Konzerns berufen wurde, galt Volkswagen als Übernahmekandidat mit mäßiger Perspektive. Heute setzt der Wolfsburger Autobauer global Maßstäbe.

Betriebsratschef Bernd Osterloh gelang in seinem Namensbeitrag für unsere Zeitung, etwas von der Omnipräsenz spüren zu lassen, die Piëch beim weltgrößten Autobauer über Jahrzehnte besaß – und zwar ein Stück unabhängig von seiner tatsächlichen aktuellen Funktion.

Piëch wurde häufig eine besondere Form der Einsicht zugeschrieben. Man traute ihm zu, besser als jeder andere beurteilen zu können, welcher der richtige Weg sei. Erstaunlich, wie weit dieses Zutrauen reichte: Unternehmensstrategie mag man als Domäne eines Miteigentümers und langjährigen Spitzenmanagers sehen. Piëch aber galt auch als die entscheidende Instanz bei Fragen der Produktentwicklung – bis hinein in konstruktive Details.

Typischer Fall von Überhöhung, mag man denken. In der Tat gibt es Anekdoten aus dem Konzern, die diese Gefahr andeuten. Nach Gesprächen mit Piëch, so heißt es, hätten sich große Runden höchstbezahlter Fachleute versammelt, um auszudeuten, was „der Chef“ gesagt habe. Ein Grund für diese exegetischen Mühen könnte allerdings auch die spezielle Kommunikation des Patriarchen gewesen sein. Piëch, das bezeugen viele, die in seinem Umfeld gearbeitet haben, war kein Freund umfangreicher Erklärungen. Er erwartete von seinen Gesprächspartnern die Fähigkeit, sich auf seine knappen, gelegentlich sphinxischen Hinweise den richtigen Reim zu machen.

Der hohe Rang, den Piëchs Urteil bei Volkswagen besaß, ist nichts, was man dem Manne sozusagen statushalber zugedichtet hätte. Motto: Der Gesellschafter hat immer recht. Das Vertrauen war klar und eindeutig in Piëchs Sachverstand begründet. Spätestens seit seiner spektakulär erfolgreichen Arbeit als Technik-Chef bei Porsche galt Piëch als Maß aller konstruktiven Dinge. Der sportliche Reiz, der die Marke bis heute auszeichnet, ist, durch Autos wie den 1000-PS-Boliden Porsche 917, vor allem sein Werk. Eckhard Schimpf hat diesen oft übersehenen, prägenden Abschnitt von Piëchs Karriere in seinem prachtvollen Buch „Porsche & Piëch“ dokumentiert.

Der Entwickler verstand sich auch auf Auf- und Umbau im Konzernmaßstab. Ungünstige Lagen schienen ihn zu beflügeln, um unkonventionelle Maßnahmen war er nicht verlegen: Anfang der 90er Jahre, als Volkswagen in einer tiefen Krise steckte, machte Piëch das Unternehmen mit einem harten Sparkurs wieder flott. Dazu hatte er General Motors den Sparkommissar Lopez ausgespannt, was neben den erwünschten Effekten auch langwierige Anfeindungen und ärgerliche Qualitätsprobleme nach sich zog. Piëchs Härte ist legendär.

Klarer als seine Zeitgenossen in der deutschen Industrie erkannte Piëch aber auch: Sanierung und Entwicklung geht nicht gegen die Beschäftigten. Intensive Mitbestimmung liegt durch die Staatsbeteiligung in den Genen des VW-Konzerns. Doch mit Piëch wurde der Betriebsrat zum Mitsteuerer. Dieses Modell, das Vertretern der reinen Kapitalismus-Lehre Tränen der Verzweiflung ins Auge treibt, kann inzwischen als Erfolgsfaktor gelten. Vorausgesetzt, die Balance der Kräfte bleibt gewahrt: In einer Welt des Co-Managements muss der Führungswille des Vorstands stets erkennbar bleiben – so war es auch während der Amtszeit Piëchs.

Die besondere Qualität des „wichtigsten Managers seit 1971“ (Manager Magazin) hat mit seinem außergewöhnlich weiten Horizont zu tun. Wer anderes wäre auf den Gedanken gekommen, eine Industriestadt durch das Projekt „Autostadt“ in eine touristische Zukunft zu führen? Und wer hätte den Mut besessen, wirklich groß zu denken? Wolfsburg gehört heute zu den interessantesten touristischen Zielen.

Piëch war nicht zum Darling geboren. Die Konsequenz seiner Entscheidungen wie seines sehr zurückgenommenen Auftritts irritierte Umfeld wie Öffentlichkeit. Wer ihm aber näherkam, berichtet von einer zugänglicheren Seite. Anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Braunschweig sagte Piëch mit schöner Selbstironie: „Eigentlich bin ich ganz anders. Ich komme nur so selten dazu.“

Ferdinand K. Piëch war, als Mensch wie als Manager, einzigartig. Viele verneigen sich in diesen Tagen vor seinem Lebenswerk, gerade in einer Region, die ihm so viel zu verdanken hat.