„Nun droht eine neue Aufrüstungsspirale, die das geringe Risiko eines Atomkriegs in Europa um einiges erhöht.“

In gut einer Woche stürzt einer der wichtigsten Pfeiler der europäischen Sicherheit ein: Der amerikanisch-russische INF-Vertrag von 1987 zur Begrenzung atomar bestückbarer Mittelstreckenraketen ist dann Geschichte. Alle Appelle an Moskau und Washington, ihn zu retten, haben nicht gefruchtet. Beide Seiten hatten das Abkommen im Geiste längst beerdigt.

Nun droht eine neue Aufrüstungsspirale, die das bislang geringe Risiko eines Atomkriegs in Europa um einiges erhöht – nicht weil ein russischer Angriff bevorstünde, sondern weil die Gefahr von Missverständnissen angesichts der geringen Vorwarnzeiten der Mittelstreckenraketen wächst.

Offenbar schwindet der Wert des INF-Vertrags für beide Seiten, weil er nur landgestützte Marschflugkörper erfasst, während sich die Atommächte zunehmend auf see- und luftgestützte Waffen verlassen. Und zugleich bindet der Vertrag nur Moskau und Washington, China dagegen stellt munter Mittelstreckenraketen auf. So war das Abkommen nicht mehr zu retten.

Die Nato ist in dieser Lage zum Handeln gezwungen. Die Aussicht, dass Moskau einen begrenzten Nuklearschlag in Europa androhen könnte, verändert die Sicherheitslage auf dem Kontinent massiv. Bisher hat das Bündnis besonnen und erstaunlich geschlossen reagiert. Die Stationierung neuer Mittelstrecken-Atomraketen ist in den nächsten Jahren kein Thema. Aber was unterhalb dieser Schwelle zur Abschreckung im Gespräch ist – die Aufrüstung von Raketenabwehrsystemen, seegestützte Atomraketen, mehr Präsenz in Osteuropa – ist strategisch doch eine Zäsur. Die Umsetzung wird Jahre dauern. Diese Zeit sollte vom Westen intensiv genutzt werden für den Versuch, die Spirale zusätzlicher Bewaffnung doch noch aufzuhalten.

Denn wenn Washington und Moskau nicht aufpassen, kollabieren weitere Abrüstungsverträge.