„Die britische Politik der Gegenwart besteht aus Showeinlagen und der Lust an der Zerstörung der Kontrahenten.“

Die Briten galten lange Zeit als Inbegriff des Pragmatismus. Wutausbrüche, aufgeheizte Ideologien, spinnerte Ideen: Fehlanzeige. Das war einmal. Die britische Politik der Gegenwart besteht aus Showeinlagen, Intrigen und der Lust an der Zerstörung der Kontrahenten. Das Parlament ist kein Ort für substanzielle Debatten über die Zukunft des Landes, sondern eine krawallige Bühne. Eine überschaubare Zahl von Brexit-Fanatikern hat nicht nur die Konservative Partei, sondern die Volksvertretung und das ganze Land gekapert. Der Ausstieg aus der EU werde Großbritannien in Politik und Wirtschaft zu neuem Weltrang verhelfen, lautet die Propaganda-Hymne.

Der Prophet des neuen Evangeliums ist der ehemalige Außenminister Boris Johnson. Der 55-Jährige mag eloquent und gelegentlich witzig sein. Seine politischen Absichten sind in erster Linie destruktiv. Er bildete eine Allianz mit der oppositionellen Labour Party, die nur ein Ziel hatte: Premierministerin Theresa May aus dem Amt zu kegeln. Deren mühsam ausgehandelter Brexit-Deal mit Brüssel wurde torpediert, bis May entnervt zurücktrat. Eine Politik der Knalleffekte.

Johnson hat nun aufgrund seiner Popularität in der Mehrheitspartei beste Chancen, Tory-Chef und Premierminister zu werden. Doch er verfügt über kein Konzept für das Gemeinwohl. Er riskiert eine wirtschaftliche Talfahrt seines Landes. Ohne Zollunion und Binnenmarkt mit der EU drohen Großbritannien geringeres Wachstum, höhere Preise und die Abwanderung von Unternehmen.

Der Brexit-Fetischist Johnson verkauft Illusionen. Hinter dem Traum vom ökonomischen Aufstieg der Insel, die nur auf sich selbst gestellt ist, steckt die Nostalgie von der Wiederherstellung des britischen Empires. Im Zeitalter der Globalisierung ist diese Rückwärtsgewandtheit nicht nur fahrlässig, sondern gefährlich.