Das Land kann nicht aus der Verantwortung für einen leistungsfähigen Mittelstandsfinanzierer im industriellen Herzen Niedersachsens entlassen werden.

„Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.“ (Charles Dickens)

Manchmal sagt eine Zahl mehr als tausend Worte. Das Schöninger „Paläon“ hat diese Woche seinen 300.000. Besucher begrüßt. Das entspricht einem Jahresdurchschnitt von über fünfzigtausend Menschen. Ein erstaunlicher Wert, wie die Erhebungen des Berliner Instituts für Museumsforschung zeigen. Demnach gab es im Jahre 2017 in der Bundesrepublik 6771 Museen. Nur 4,7 Prozent der Museen, die ihre Zahlen übermittelten, hatten mehr als 50.000 Besucher. Ein Museum am Rande Niedersachsens, fast eine Autostunde von den Großstädten entfernt, spielt an der deutschen Spitze.

Die Schöninger Speere haben das Bild früher Zivilisationen verändert; vor dem Fund im Tagebau war man davon ausgegangen, dass die Menschheit erst mehrere Hunderttausend Jahre später in der Lage war, Werkzeuge herzustellen und organisiert zu jagen. Der Rang der Speere ist eine Erklärung für den Erfolg des „Paläon“. Die Qualität seiner Arbeit ist eine zweite. Besucherbetreuung, außerschulischer Unterricht, spektakuläre Sonderausstellungen lockten Besucher immer wieder in den für seine Architektur international ausgezeichneten Bau.

Mit der Übernahme durch das Landesamt für Denkmalpflege wird der Forschungsteil des bisher als „Forschungs- und Erlebniszentrum“ bekannten „Paläon“ auf hohem Niveau gesichert. Das ist gut und wichtig. Die wissenschaftliche Arbeit erschöpft sich nicht in den ersten bekannten Jagdwaffen der Menschheit: Die Fundorte der Speere geben immer neue prähistorische Preziosen frei.

Nach einigem Nachdenken scheint im Landesamt und im Wissenschaftsministerium die Erkenntnis gereift zu sein, dass es mit dem Konzept eines „Forschungsmuseum“ allein nicht getan ist. IHK-Ehrenpräsident Wolf-Michael Schmid verweist auf die doppelte Absicht, die hinter dem „Paläon“ steckt. Neben der adäquaten Präsentation der Fundstücke mit Welterbe-Potenzial war es die Investition in den schönen, aber strukturschwachen Helmstedter Südkreis.

Der Impuls für Handel und Gewerbe ist unverändert wichtig. Er sollte gestärkt werden. Innerhalb des „Paläon“ mit einer Fortsetzung der Event-Strategie – und in seiner Nachbarschaft durch Erlebnisangebote im Tagebau, wie sie anderswo bereits Zehntausende anziehen. Die Hilfe für die Kohlereviere könnte dabei wichtig werden.

Nun kann sich ein Landesamt für Denkmalpflege beim besten Willen nicht um Event-Angebote kümmern. Deshalb ist es ermutigend, dass Schmid die Bereitschaft der bisherigen Unterstützer signalisiert, diese Arbeit fortzuführen. Eine Gesellschaft, die neben dem Forschungsmuseum agiert, könnte dem drohenden Absturz der Besucherzahlen entgegenwirken, der Stadt Schöningen und nicht zuletzt den gekündigten Mitarbeitern zusätzliche Perspektive bieten.

Nur dürfte das Land nicht weiterhin das „Paläon“-Geld der Stadt Schöningen und des Kreises Helmstedt beanspruchen. Die Erlebnisgesellschaft bedürfte einer Grundfinanzierung. Hannover will keine dauerhafte, „institutionelle“ Förderung aus Landesmitteln leisten – und müsste das auch nicht tun. Es würde völlig reichen, das Geld der Region in der Region zu belassen.

Angesichts der Einsparungen, die das Land aus der Synergie zwischen „Paläon“ und Landesamt erwartet, sollte das Geld der Kommunen verzichtbar sein. (In keinem Fall dürfte es zur versteckten Finanzierung anderer Aufgaben im Land herangezogen werden.)

Die Erfolgsgeschichte des „Paläon“ könnte weitergehen. Gut beraten ist, wer die Gelegenheit beim Schopf greift und nicht wartet, bis die in Jahren gesponnenen Fäden gerissen und zerfallen sind!

Eine gute Nachricht der Woche ist die Bewegung um die Braunschweigische Landessparkasse. Finanzminister Reinhold Hilbers hat klargestellt, dass er kein Gegner einer Herauslösung aus der Nord-LB ist. Im Juni trifft er sich mit den Kommunen, die eine selbstständige Sparkasse fordern. Damit könnte eine unselige Hängepartie zu Ende gehen. Sie war entstanden, weil sich die niedersächsischen und deutschen Sparkassen nicht auf ein gemeinsames Engagement einigen konnten. Die Kommunen, die eine Lösung schaffen könnten, saßen nicht am Tisch.

Beruhigend für Kunden und Mitarbeiter dürfte auch die Aussage sein, dass die Landessparkasse im Zuge der Nord-LB-Schrumpfung nicht unter den Rasenmäher kommt. Es wäre gegen alle wirtschaftliche Vernunft gewesen, die BLSK zu schwächen, eine kommunale Lösung wäre erschwert worden. Der späte Ministertermin (am 17. Juni) gibt den Kommunen Zeit, an einem Angebot zu arbeiten, das Hilbers nicht ablehnen kann – was ganz sicher nicht gleichbedeutend ist mit einer Entlassung des Landes aus seiner Verantwortung für einen leistungsfähigen Mittelstandsfinanzierer im industriellen Herzen Niedersachsens.

Eine handlungsfähige Landessparkasse wäre längerfristig auch ein interessanter Partner für die neu entstehende Sparkasse Celle-Gifhorn-Wolfsburg. Die Schere zwischen Kosten und Ertrag dürfte den Zwang zur Größe verstärken.

Ein Nachtrag. In der vergangenen Woche hatte ein Mann unsere Region besucht, dessen Wirken nicht hoch genug zu schätzen ist. Der 97-jährige Guy Stern, in Hildesheim geboren, überlebte als einziges Mitglied seiner Familie den Holocaust, weil er in die USA emigrierte. Sein Vater, seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder kamen im Warschauer Ghetto um. Dieser Mann reist immer wieder in das Land seiner Väter, das auch das Land der Mörder seiner Familie ist. Er diskutiert mit Schülern und Erwachsenen, spricht über Verantwortung für die dunkle Vergangenheit und eine Zukunft ohne Rassenwahn. Sein Freund Rainer Zirbeck, der ihn eingeladen hatte und auch seine Reden im bayerischen und niedersächsischen Landtag hörte, nennt ihn einen „herausragenden Zeitzeugen“. Sterns Botschaft ist in vergesslichen Zeiten nötiger denn je.