Die Heftigkeit Ihrer Reaktion und die darin enthaltenen Unterstellungen können nicht ohne Widerspruch bleiben.

Lieber Herr Wertmüller,
Sie haben meiner Kollegin Cornelia Steiner einen Brief geschrieben. Ihr Beitrag in der Samstagausgabe habe Sie „erst überrascht und dann entsetzt“. Wir haben Ihren Brief zur Information unserer Leser im Wortlaut abgedruckt.

Frau Steiner hatte in der Wochenkolumne die Vorkommnisse am Rande der Gedenkveranstaltung zum 8. Mai reflektiert. Sie hatte berichtet, wie junge Aktivisten der Antifa kurz vor Beginn dieser Veranstaltung zur Straße rannten und „Nazis raus“ brüllten, weil sie einen stadtbekannten Nazi erkannt hätten, der im Auto vorbeigefahren sei und die Linken gefilmt habe. Frau Steiner hat kommentiert, dass sie dieses Verhalten bei einer Gedenkveranstaltung als unangemessen empfand. Das Auftreten extremer Linker in Braunschweig mache ihr Angst. „So wie jedes aggressive Verhalten, egal von wem.“ Und sie erinnerte an das Ereignis vom Januar an selber Stelle. Der AfD-Ratsherr Stefan Wirtz war bedrängt worden, die Polizei musste eingreifen. Diesen Übergriff mit einer empfundenen Provokation zu begründen, sei „ein Versuch der Rechtfertigung, der ins Leere läuft. Wer für Toleranz und Respekt eintritt, muss dies auch selbst konsequent vorleben“.

Ich kann verstehen, dass Ihnen diese Kritik nicht schmeckt. Die Heftigkeit Ihrer Reaktion und die darin enthaltenen Unterstellungen allerdings können nicht ohne Widerspruch bleiben. Nicht nur um Missverständnisse auszuschließen, möchte ich bekräftigen, dass wir Ihr persönliches Engagement und das Ihrer Mitstreiter zu schätzen wissen. Die Arbeit nicht zuletzt der Gewerkschaften für Respekt und Toleranz, gegen Rassismus und andere Formen des Rechtsextremismus ist ein bedeutender Beitrag zur politischen Kultur. Meine Kollegen und ich sind mit Ihnen einig, dass Rassisten nie wieder die Gelegenheit bekommen dürfen, dieses Land und mit ihm die halbe Welt ins Unglück zu stürzen. Gerade am Jahrestag des Kriegsendes musste daran erinnert werden. Unsere Redaktion hat dies beim Leserforum Europa am 8. Mai ebenfalls und in aller Klarheit getan. Wer dem alltäglichen und dem organisierten Ungeist nicht entgegentritt, versündigt sich.

Die Frage ist nur, in welcher Form man das tut. Wer laut und deutlich widerspricht, wenn andere Menschen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung oder Weltanschauung beleidigt werden, leistet seine Pflicht als Bürger eines freiheitlichen, auf Toleranz und Respekt gegründeten Rechtsstaates. Sei es im privaten oder im politischen Raum.

Das Recht auf Straßenkampf aber gibt es nicht. „Real prügelnde Nazis“, die nach Ihrer Meinung in der Welt Frau Steiners nicht vorkommen, sind kein Fall für die Antifa, sondern für Polizei und Staatsanwaltschaft. Das Gewaltmonopol des Staates garantiert, dass Recht vor Stärke geht. Wir sind uns sicher einig, dass es in Deutschland nicht wieder zu Straßenschlachten kommen darf, wie sie in der Zeit der Weimarer Republik an der Tagesordnung waren.

Ja, es gibt prügelnde Neonazis. Und nein, wir ignorieren sie nicht. Über den als „NO-Schläger“ bekanntgewordenen Mann und seien Aktivitäten haben wir, um nur ein Beispiel zu nennen, immer wieder berichtet und die Qualität der Strafverfolgung äußerst kritisch kommentiert. Tatsache ist aber auch, dass es wiederholt zu Attacken linksextremer Kräfte auf AfD-Politiker gekommen ist. Die sind in einem demokratischen Rechtsstaat genauso wenig hinzunehmen. Polizei und Justiz müssen der Anmaßung mit größter Konsequenz entgegentreten – ob sie nun von rechts kommt oder von links!

Mir macht es große Sorgen, wenn, wie in Chemnitz geschehen, bürgerliche Kräfte einträchtig neben Neonazis marschieren. Für die Abgrenzung muss gestritten werden. Und auch hier gilt das Gebot des gleichen Maßstabs: Auch die linke Seite des demokratischen Spektrums muss sich Kritik gefallen lassen, wenn sie Zweifel an der Klarheit ihres Standpunkts zulässt, wenn linke Extremisten das Recht brechen.

Der entscheidende Punkt ist und bleibt: Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen. Wer da glaubt, er wisse schon selbst, wie weit das Recht Andersdenkender auf freie Meinungsäußerung oder Teilnahme an Veranstaltungen gehen dürfe, der befindet sich auf einem Irrweg. Er wird in uns keinen Bündnispartner finden.