“Würde der Kulturwandel greifen, wäre Diess direkt auf die falsche Wortwahl hingewiesen worden.“

War es mangelnder Instinkt, fehlendes Wissen oder Unaufmerksamkeit? Mit seiner Aussage „Ebit macht frei“, die an das zynische Nazi-Motto „Arbeit macht frei“ erinnert, hat sich VW-Chef Herbert Diess völlig unnötig angreifbar gemacht und – völlig zu Recht – eine Rüge des Aufsichtsrats erhalten. Nicht wenige bei VW werden sich wegen dieser Aussage auf einer VW-internen Veranstaltung die Haare gerauft haben. Schließlich ist die Unruhe beim Autobauer wegen des Umbaus zur Elektro-Mobilität und eines geplanten Stellenabbaus ohnehin groß. Da braucht es nicht noch zusätzlich hausgemachte Probleme.

Nachdem das Thema am Freitag vor allem in deutschen und US-Medien an Temperatur gewonnen hat, ist es am Wochenende vergleichsweise ruhig geblieben. Vielleicht kommt Diess mit einem blauen Auge davon. Immerhin hat er sich wenige Stunden nach seiner verbalen Geisterfahrt entschuldigt, und auch der Aufsichtsrat hat sich eindeutig positioniert. Klar ist aber: Solch ein Fall darf sich nicht wiederholen.

Ohnehin gilt: Auch wenn die Aussage in der Öffentlichkeit verblasst, schreit der Vorfall nach einer weiteren VW-internen Aufarbeitung. Denn er ist geradezu ein Musterbeispiel für das offensichtliche Scheitern des Kulturwandels beim Autobauer. Der hat sich selbst auferlegt, offen Kritik zuzulassen, je geradezu von den Mitarbeitern einzufordern, um daraus zu lernen. Genau das ist aber in diesem Fall offenbar nicht geschehen.

Würde der Kulturwandel greifen, wäre Diess direkt von einem seiner Zuhörer angesprochen und auf die falsche Wortwahl hingewiesen worden. Schließlich bestand die Gefahr, dass der VW-Chef sich und das Unternehmen beschädigt. Diesen Einspruch hat es aber nach Informationen unserer Zeitung nicht gegeben. Stattdessen wurde die Aussage des Konzernchefs nach außen durchgestochen.

Das lässt nur den Schluss zu, dass entweder der Mut zur Kritik fehlt – oder diese eben doch nicht so erwünscht ist. Beides dürfte den von den US-Behörden eingesetzten Monitor Larry Thompson, der bei VW die Aufarbeitung des Abgas-Betrugs und den Kulturwandel begleitet, nicht erfreuen. Der Fall Diess zeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit bei VW noch weit auseinanderklaffen.