Wer nicht investiert, wirtschaftet ab – bei einem Verkehrsträger noch schneller als beim Unterhalt öffentlicher Gebäude.

Doch wehe dem, der allein ist, wenn er hinfällt, ohne dass einer bei ihm ist, der ihn aufrichtet. (Die Bibel)

Bahnfahren kann ausgesprochen preiswert sein. Man muss nur genügend Pech haben. Kurios, finden Sie? Ist es auch. Wenn die Bahn viel zu spät kommt, hat der Fahrgast Anspruch auf Rückerstattung von bis zu 50 Prozent des Ticket-Preises. Umgestürzte Bäume und kaputte Weichen, defekte Züge und Signalstörungen – mannigfaltig sind die Schnäppchenpreis-Bescherer.

Das europäische Recht verschafft den Kunden der Bahn (und auch denen der Fernbus-Unternehmen) ein Trostpflaster von stattlicher Größe. Allein: Was hat der Mensch von dem Schnäppchenpreis, wenn er Stunden verloren und Termine versäumt hat? Die regelmäßig mehr als 1,3 Millionen erstattungsberechtigten, sauren und vergnatzten Bahnfahrer wären viel lieber pünktlich am Ziel.

Das Fahrgastrecht unterscheidet übrigens nicht zwischen Sündern und Gerechten. Egal ob es am Murks bei der Zugbereitstellung oder an einer semikatastrophalen Wetterlage lag: Wichtig ist nicht die Ursache, sondern nur das Ausmaß der Verspätung. Der Verbraucherschutz fordert von der Bahn und dem Bus zudem eine Verlässlichkeit, die der Individualverkehr heutzutage selten bieten kann. Der Kollege, der mit seinem Auto gerade auf der Autobahn 2 zweieinhalb Stunden lang in einer Vollsperrung steckte, blieb mit dem Verkehrsfunk und seinem Elend allein.

Die Fahrpreiserstattung erzielt nicht den erzieherischen Effekt, den die Initiatoren im Sinn hatten. Verspätungen der Bahn sind eine der wenigen festen Größen in unserer wandlungsreichen Zeit, allen kraftvollen Forderungen der Bundesverkehrsminister zum Trotz. Diese Amtsträger sind, das ist ein hübsches Detail am Rande, seit fast zehn Jahren allesamt Mitglieder der Verkehrsrettungspartei CSU. Klangvolle Namen sind zu nennen: Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Christian Schmidt, Andreas Scheuer. Bewegt haben sie so wenig wie ihre sozialdemokratischen Vorgänger, die auch keine Leichtgewichte waren: Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig, Manfred Stolpe, Wolfgang Tiefensee.

Der Bundesrechnungshof hatte guten Grund, den Watschn-Baum umfallen zu lassen, wie man im Süden sagt: Der Bund als Eigentümer der Bahn habe sich sträflich wenig um sein Eigentum gekümmert – und damit um einen wesentlichen Teil der Infrastruktur unseres Landes. Die politische Vorgabe reimte sich nicht auf zukunftsgerichtete Entwicklung eines Verkehrssystems, das wir angesichts des auf den Autobahnen inzwischen in Zweierreihen fahrenden Schwerverkehrs gerne in Hochform erleben würden. Die Agenda zielte viel zu einseitig auf Rentabilität.

Dieser schwere Fehler kostete die Bahn nicht nur personelle, sondern auch materielle Substanz. Wer nicht investiert, wirtschaftet ab – bei einem Verkehrsträger noch schneller als beim Unterhalt öffentlicher Gebäude. Wenn der amtierende Bundesverkehrsminister das Bahnmanagement nun mit Forderungen nach Sofortprogrammen vorführt, mag dessen Reaktionsgeschwindigkeit steigen. Grundlegende Verbesserungen wird die Bahn aber nur darstellen, wenn sie ähnliche Unterstützung erhält wie der Autobahnbau.

Da scheint unser regionaler Weg deutlich sinnvoller zu sein. Der viel gescholtene Regionalverband hat gerade die nächste Stufe der Verbesserungen im regionalen Schienenverkehr publiziert: Mit dem Geld, das die drei Oberbürgermeister unserer Region in Hannover erkämpft hatten, werden die Verbindungen erneut attraktiver. Wenn erst die Weddeler Schleife endlich fertig ist – bislang eine Spaß- und Tempobremse zwischen Braunschweig und Wolfsburg –, könnte mancher freudig mit dem Zug fahren, der sich heute noch über verstopfte Autobahnknoten quält.

Dass auf den Regionalstrecken Wachpersonal auftaucht, das wegen seiner extremen Gesinnung und ebensolcher Schlagkraft unrühmliche Prominenz besitzt, können wir hoffentlich von der Gefährdungsliste streichen. Die Westfalen-Bahn dürfte ihre Sicherheitsdienstleister zum Gebrauch von Internet-Suchmaschinen anhalten. Zu einem der Rechtsausleger, die diese Woche als Wachleute auffielen, wirft die Suche in 0,28 Sekunden „ungefähr 5490 Ergebnisse“ aus. Das sollte zur sachgerechten Beurteilung reichen.

Segensreich ist stets, den Tunnelblick durch 360-Grad-Betrachtung zu ersetzen. Der Träger des Peiner Klinikums gab diese Woche bekannt, dass er dessen Abteilung für Frauenheilkunde schließt. Hintergrund ist das Millionendefizit der Celler AKH-Gruppe. Ob eine Allianz zwischen Peine und Celle im Sinne beider Partner und der Bürger jemals vielversprechend war, ist umstritten. In Peine zeigt sich jedenfalls schlaglichtartig, wie es um die Kondition mehr als eines Spitals steht.

Kenner der Krankenhauslandschaft warnen seit langem davor, die Gefahren einer chronischen Erkrankung unseres regionalen stationären Gesundheitssystems zu unterschätzen. Statt integrierter Zusammenarbeit ist immer noch sorgloses Nebeneinander sogar kommunaler und anderer gemeinnütziger Krankenhäuser und Kliniken an der Tagesordnung. Man mag das als Wettbewerb bezeichnen. Was aber hilft dieser Wettbewerb, wenn er im Ergebnis die knappen Budgets erschöpft? Unsere Region hat schon zu oft erlebt, wie kommunale Krankenhäuser, mit ihrer Gemeinwohlverpflichtung ein wertvoller Teil der öffentlichen Infrastruktur, aus Mangel an Entscheidungskraft und Phantasie privatisiert werden mussten.

Und es kommt weiterer Gegenwind auf. US-Plattform-Konzerne, so sagt ein erfahrener Klinik-Verantwortlicher, stehen vor der Tür. Mit Hilfe ihrer Technologie und mit den Milliarden, die sie in Deutschland und Europa verdienen, ohne nennenswert Arbeit zu schaffen oder Steuern zu zahlen, könnten sie schon bald in den Gesundheitsmarkt drängen. Für die bestehenden Strukturen könnte das verheerende Folgen haben. Bei größeren Kliniken führt ein Rückgang der Auslastung um nur ein Prozent zu einem Millionendefizit.

Arbeitsteilung nicht nur zwischen Maximal- und Grundversorgern wäre heilsam. Ob die Gefahr schon in allen Rathäusern und Landratsämtern unserer Region gesehen wird?