“Und der in seinem Netz gefangene Verbraucher sucht verzweifelt nach besserem Empfang, das Handy wie eine Wünschelrute ausgestreckt.“

„Obwohl wir weiterhin davon überzeugt sind, in einer Industriegesellschaft zu leben, sind wir in Wirklichkeit auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die auf Erstellung von Informationen und deren Verbreitung basiert.“ - John Naisbitt

Albanien ist nun also unser Tabellen-Nachbar? Die deutschen Mobilfunk-Netze sind jedenfalls, so sagt Verkehrsminister Andreas Scheuer, „für eine Wirtschaftsnation untragbar“. Fast überall in Europa und eben selbst im armen Albanien haben die Bürger bessere Netzabdeckung und schnellere Verbindung. Und das bei durchaus stolzen Preisen hiesiger Anbieter.

Wie kommt’s, fragt sich der Smartphone-Inhaber? Es ist ja durchaus kein Vergnügen, zu Preisen jenseits der 40 Euro stattliche Datenkontingente und schnelle Verbindungen zu buchen, um dann auf der Strecke zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel aus dem Telefonat zu fliegen.

Wir könnten es uns leicht machen und auf die Anbieter fluchen. Die Qualität der Netze ist so unübersichtlich wie unterschiedlich, die Zahl der Löcher verändert sich von Kilometer zu Kilometer und passt schon innerhalb kleiner Ortschaften nicht unter einen Hut. Festzustellen ist: Einer, der damit wirbt, er habe hohe „Netzabdeckung in der Bevölkerung“, verbreitet Rauchschleier wie das bengalische Feuer in der Silvesternacht. Die Werbung klingt ja, als könne man fast überall befreit lossurfen oder -klönen. Die ehrliche Übersetzung: „Mit unserem Netz kommen Sie in dicht besiedelten Regionen gut zurecht. Überall anders brauchen Sie viel Glück.“ Die Logik ist simpel: Wer zum Beispiel im herrlich ursprünglichen, weil weitgehend menschenleeren Bayerischen Wald an Netz nichts bietet, verliert damit bei der „Netzabdeckung in der Bevölkerung“ wenig.

Die Suche nach den Ursachen der vergleichsweise schlechten Versorgung mit schnellem Mobilfunk führt uns aber rasch zu dem Rahmen, den sich die Netzanbieter keineswegs selbst setzen. Es gibt Staaten, in denen jeder Mobilfunkvertrag für den am jeweiligen Ort technisch möglichen Empfang gut ist. Dort schalten die Handys automatisch auf das beste Netz um, gleichgültig, wer es betreibt und mit wem der Mobilfunkvertrag geschlossen wurde. Das ist in Deutschland politisch nicht gewollt. Für die UMTS-Lizenzen nahm Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) zur Jahrtausendwende sagenhafte 98,8 Milliarden Mark ein, mehr als 50 Milliarden Euro. Deshalb genießt der Lizenz-Erwerber Schutz. Und der in seinem Netz gefangene Verbraucher sucht verzweifelt nach besserem Empfang, das Handy wie eine Wünschelrute ausgestreckt.

Der Geldsegen, der nicht nur bei Eichel für Frohlocken sorgte, hatte eine Bedingung: Hervorragende Netzabdeckung war in den Ausschreibungen keine Bedingung. Die Bieter wären sonst angesichts höherer Technik-Kosten kaum bereit gewesen, für die Lizenzen derartig tief in die Kasse zu greifen.

Das flache Land genießt ja leider nicht immer die Aufmerksamkeit von Behörden, die ihren Sitz grundsätzlich in großen Städten haben. Mit Karl Marx zu sprechen: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Freilich ändert die behördliche Scheuklappe nichts an einer einfachen Tatsache. Die Bürger wie die Betriebe der Industrie, des Handwerks und der Landwirtschaft haben auch dann Anspruch auf Teilhabe an der technologischen Entwicklung, wenn sie in kleinen Orten zuhause sind. Dies übrigens in schönem Einklang mit dem Gemeinwohl: Dezentrale Wirtschaftsstrukturen sind ein Mittel gegen Landflucht und Eskalation der Wohnungs- und Verkehrsprobleme in den Ballungsräumen.

Dass die Mobilfunkanbieter vor dem Hintergrund falsch gesetzter staatlicher Prioritäten die Lizenz-Milliarden schnell zurückverdienen wollten und nicht jeden technisch sinnvollen Sendemasten aufrichteten, ist fast verständlich. Den Geldsegen investierte der Bund damals nicht in die Nachbesserung der Datennetze des Landes, sondern in die Schuldentilgung. Das war, weil eine Generation nicht auf Kosten der folgenden leben sollte, eine durchaus weitsichtige Entscheidung. Aber es erklärt die Mobilfunk-Misere ein Stückchen mit.

Die Engländer lehren uns, dass wir nicht über vergossene Milch weinen sollten. Es bringt sie ja nicht zurück in den Topf. Aber die Lizenz-Vergabe der nächsten Mobilfunk-Generation folgt derselben Logik, wie Niedersachsens Digital-Staatssekretär Stefan Muhle bei der Regionalkonferenz im November in Braunschweig kritisierte.

Zwar verlangt die Bundesnetzagentur immerhin die Vollversorgung mit 5G entlang der Bundes-, der Landstraßen und der Zugstrecken. Aber damit wird leistungsfähiger Mobilfunk wieder nicht flächendeckend zur Verfügung stehen. Wer es mit der Industrie 4.0, dem Internet der Dinge oder dem Autonomen Fahren ernst meint, kann damit nicht zufrieden sein.

„Deutschland soll Weltspitze bei der digitalen Infrastruktur und Leitmarkt für 5G werden“, schreibt die Bundesnetzagentur. Wenn sie da den Mund mal nicht zu voll nimmt. Die „20 Jahre Verantwortung für Netze“, die die Behörde stolz in ihrem Jubiläums-Logo postuliert, hat uns bisher jedenfalls nicht an die Weltspitze geführt. Das schnellste deutsche Netz erreicht nur etwas mehr als ein Drittel des Spitzenwertes aus der Schweiz. Und das deutsche Netz mit der höchsten LTE-Abdeckung erreicht nur 75,1 Prozent, der Bestwert wird in den Niederlanden mit 95,2 Prozent gemessen.

Der Platz an der Weltspitze darf keine Behördenfloskel bleiben, denn die Wirtschaft dieses Jahrhunderts braucht die leistungsfähigen Datennetze dringend.