„So viel Transparenz im Wettbewerb um den richtigen Weg, so viel aufrichtiges Werben um Zustimmung hatte die CDU in Jahrzehnten nicht erlebt.“

„Wenn Sie in der Politik etwas gesagt haben wollen, wenden Sie sich an einen Mann. Wenn Sie etwas getan haben wollen, wenden Sie sich an eine Frau.“Margaret Thatcher

Es war eine starke Rede, eine von der Art, an die man sich erinnert. Friedrich Merz, ohnehin der beste Rhetoriker unter den Kandidaten für den CDU-Vorsitz, wirkte selten konzentrierter als beim Hamburger Parteitag. Seine Bewerbung für Angela Merkels Nachfolge strahlte aus, was nicht nur CDU-Mitglieder lange vermisst hatten: Eine klare, weltanschaulich gut verortbare Haltung, die sich gegen die Neigung der Linken und der Grünen stemmt, die Welt durchregulieren zu wollen, die Eigenverantwortung und unternehmerisches Handeln honoriert, aber eben nicht nur zu Politik für die Bessergestellten führt. Merz’ kämpferisches Bekenntnis zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit SPD, FDP und den Populisten von rechts und links dürfte bei den Zuschauern der TV-Übertragung jene Begeisterung geweckt haben, die Angela Merkels unendlich nüchterner Politik- und Redestil nur sehr selten hervorgerufen hat. So redet einer, der Parteichef und Kanzler werden will. Da rief einer seiner Partei zu: „Ja, ich kann.“

Annegret Kramp-Karrenbauers Rede hatte weniger Schliff, klang weniger sonor und gar nicht staatsmännisch – aber sie ging tiefer. Kramp-Karrenbauer schaffte das, was Merz nicht gegeben ist: Sie sprach mit der Seele der Partei. Die Erinnerung und das Versprechen gemeinsamen Kampfes um Mehrheiten in den Ländern, das warme Dankeschön an Angela Merkel und nicht zuletzt ihre anrührende Auseinandersetzung mit dem Bild der Merkel-Kopie, des personifizierten „Weiter so“, das andere von „AKK“ gezeichnet hatten – das war durchaus auch ein „Ja, ich kann“. Vor allem aber war es ein „Ja, ich kann es mit Euch und mit Angela Merkel.“

Die emotionale Intelligenz ihrer Rede bewies, dass Kramp-Karrenbauer mehr ist als „Merkel 2.0“. Auch wenn es nicht in Sahra Wagenknechts Feindbild passt: Der dreifachen Mutter, die im Regierungshandwerk erfahren und als CDU-Generalin geachtet ist, mochte man glauben, dass sie Lösungen für Wohnungsnot und Rentenangst, schwächelnde Infrastruktur und fehlenden Bildungsglanz, Kriegsgefahren und die Erosion Europas zu organisieren versteht; nah bei den Menschen und beim Weltbild der Union, das traditionell weder in der Nachbarschaft von Gewerkschaften noch Investmentbankiers zu suchen ist. Die Frage der nächsten Kanzlerkandidatur ist mit Kramp-Karrenbauers Wahl zur Parteichefin zwar noch lange nicht entschieden. Aber die CDU ist einer aussichtsreichen Besetzung deutlich näher als die SPD mit dem Duo Nahles & Scholz.

Dem dritten Kandidaten Jens Spahn war es in den vergangenen Wochen gelungen, an Sichtbarkeit und Statur zuzulegen, er fuhr ein achtbares Ergebnis ein. Bei der Entscheidung spielte er keine Rolle: Die Partei, die eine auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenführen will, entschied sich mit der erwarteten knappen Mehrheit für die Persönlichkeit, deren Integrationsfähigkeit außer Frage steht.

Dem vertraut schrillen Alarmruf Alice Weidels von der AfD, die einen „Linksruck“ gesehen haben will, dürfte wenig Widerhall beschert sein. Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Die Entscheidung für Annegret Kramp-Karrenbauer und der Weg dorthin reimen sich auf etwas ganz anderes: Hamburg könnte mehr bedeuten als nur Kontinuität in Sachlichkeit und Sache, mehr als das Ende des Wahlkampfes von Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn.

Dieser Wahlkampf hat mehr für die CDU getan, als nur die Nachfolge Merkels vorzubereiten. Viel wichtiger für die Partei (und für ein Land, das die Stabilität und Integrationskraft der Volksparteien braucht) könnte die Diskussionskultur werden, die ihr Hochamt erlebte. So viel Transparenz im Wettbewerb um den richtigen Weg, so viel aufrichtiges Werben um die Zustimmung der Parteimitglieder im ganzen Land hatte die CDU in den Jahrzehnten unter Helmut Kohl und Angela Merkel nicht erlebt. Da wandte sich eine Partei den großen Fragen zu, die den Bürgern auf den Nägeln brennen und die stets im Mittelpunkt politischer Arbeit stehen sollten, die aber im Postenverteilen und Klientelbeglücken der Seehofer-zerquälten Großen Koalition unterzugehen drohten. Wofür stehen wir? Was wollen wir erreichen, dass sich Menschen sicher fühlen, Gerechtigkeit erleben, Vertrauen in den Mut, den Sachverstand und die Problemlösungskompetenz der Demokratie zurückgewinnen?

Die Regionalkonferenzen erwiesen sich als Dialogplattform mit Ausstrahlung tief in Ortsvereine und Wohnzimmer der Christdemokraten. Mitglieder von Vechta bis Zittau bezogen Stellung, griffen die Debatte der Kandidaten auf und machten sie zu der ihren. Auch in unserer Region, vom CDU-Grandseigneur Carl Langerfeldt bis zum Braunschweigischen Landesvorsitzenden Frank Oesterhelweg.

Viele hatten Sorge, der Wettbewerb könne die Partei spalten. Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann mag diese Sorge geteilt haben. Oder sollte sein Verzicht auf eine Wahlempfehlung allein im Respekt vor der freien Entscheidung jedes Delegierten wurzeln?

Vieles spricht für die Annahme: Die Diskussion wirkte auf die Partei wie ein Fitnessprogramm. So wie ein Sportler durch Training Elastizität und Ausdauer steigert, in der Anspannung seiner Muskeln die eigene Kraft spürt, so erlebte die CDU die vitalisierende Wirkung, die in der Wiederentdeckung ihrer Verschiedenheit steckt. Wer Volkspartei sein will, muss Gegensätze aushalten und zueinander in Beziehung setzen – und kann daraus große Kraft schöpfen.

Viele glauben, Angela Merkel werde ihre Amtszeit nun fokussierter zu Ende bringen können, als es mit einem Parteichef Merz möglich gewesen wäre. Das wäre angesichts der Probleme des Landes und der Welt kein geringer Wert. Und falls die neue Nähe der CDU-Führung zur Basis sich in einer Politik niederschlüge, die die Bürger versteht und von ihnen verstanden wird, hätte der CDU-Parteitag von Hamburg historische Qualität.