„In ein paar Monaten könnten sich viele in der CDU dabei ertappen, dass sie dieser starken ostdeutschen Frau manche Träne nachweinen werden.“

In Hamburg sagt man Tschüss, sang einst die große Volksschauspielerin Heidi Kabel über ihre Heimatstadt. Auch Angela Merkel wurde in Hamburg geboren. In der DDR wuchs sie auf und prägte dann 18 Jahre lang als Vorsitzende die CDU wie vor ihr nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl.

Jetzt hat Merkel ihrer Partei Tschüss gesagt. In Würde, mit Größe, selbstkritisch, mit einer Portion Fröhlichkeit und Merkel-Witz. Als die rund 1000 Delegierten sie nach ihrer Rede neun Minuten lang bejubelten, da wurden die Augen der Kanzlerin feucht. Leicht fällt ihr der Abschied nicht. Aber sie bleibe ja noch Kanzlerin, erinnerte sie ihre Partei daran, dass sie keine lahme Ente sei.

„Ich sage nur Saarland: Über 40 Prozent“. Mit einem Satz sprach Merkel indirekt eine Wahlempfehlung für AKK aus. Eine kleine Retourkutsche gegen Schäuble. Er hatte unter der Woche in einem Zeitungsinterview massiv für Merz geworben und damit viele in der CDU verstört, die vor Grabenkämpfen und einer Spaltung der CDU nach dem Parteitag warnen. Kramp-Karrenbauer hatte 2017 die Landtagswahl an der Saar gewonnen und Rot-Rot-Grün verhindert.

Merkel erkannte ihre große Chance

Geschickt spannte Merkel einen Bogen ihrer 18 Jahre an der Spitze, die auf dem Essener Parteitag im Jahr 2000 begannen. Das Motto lautete damals „Zur Sache“. Typisch Merkel, hätten viele damals gemault, erinnerte sie. Für viele CDUler in der Zeit nach Kohl sei das gewöhnungsbedürftig gewesen. Merkel erkannte damals eiskalt ihre große Chance.

Die politischen Gegner hätten sich die Hände gerieben und geglaubt, die CDU werde sich nie wieder von der Parteispendenaffäre erholen, die Kohl (und auch Schäuble mit einem verschwiegenen Geldkoffer) den Christdemokraten eingebrockt hatten. Die CDU habe politisch, moralisch und finanziell vor dem Aus gestanden. In dieser „Schicksalsstunde“ habe es die Partei allen gezeigt – damit meinte Merkel in erster Linie sich selbst. Es war jene Stelle in ihrer wohl temperierten Rede, in der sie sich selbst am stärksten lobte.

Ein Plädoyer für Geschlossenheit

In ein paar Monaten könnten sich viele in der CDU dabei ertappen, dass sie dieser starken ostdeutschen Frau manche Träne nachweinen werden. In 72 Europa-, Bundestags- und Landtagswahlkämpfe führte sie ihren Laden an – sehr oft mit großem Erfolg. Merkel schrieb jetzt ihrer Partei ins Stammbuch, dass nur Geschlossenheit den Status als Volks- und Staatspartei erhalten kann. In 70 Jahren Bundesrepublik stellte die Union 50 Jahre den Kanzler. An diesem Punkt gab Merkel der CSU und Horst Seehofer noch einen mit. Wohin nicht enden wollender streit führe, hätten CDU und CSU in den letzten Jahren bitter erfahren.

Zur Flüchtlingskrise 2015 – ihr historischer Moment so wie es die Einheit für Kohl war – sagte Merkel nur einen Satz, um nicht noch mehr Öl ins Parteitagsfeuer zu gießen. Nach einer humanitären Notlage sei gesteuert und geordnet worden, etwa mit dem EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen. Dafür gab es nur spärlichen Applaus, ebenso wie bei Merkels Ansage, die Abschaffung der Wehrpflicht sei richtig gewesen.

Partei und sie selbst hätten sich immer wieder einiges zugemutet, räumte Merkel ein. Selbstkritisch ergänzte „Mutti“, viele in der CDU-Familie hätten sich häufiger mehr Attacke von ihr gewünscht. Sie aber habe lieber das Florett gewählt, geschwiegen und sei nicht über jedes Stöckchen gesprungen.

Mit „Fröhlichkeit im Herzen“

Als Vermächtnis ermahnte AKK beziehungsweise Merz, die Gesellschaft, wo gerade zu oft die radikalsten und schrillsten Töne gehört würden, sowie den Westen zusammenzuhalten. Die Herausforderungen an den Neuen oder die Neue werden riesig sein. Das aggressive Dealmaking eines Donald Trump ersetzt die alte Weltordnung, 222 weltweite Konflikte verschärfen Migrationsbewegungen, der Klimawandel bringt den Globus an den Rand des Kollaps, der Brexit wird eine tiefe Zäsur für Europa.

Die CDU müsse ihre Werte nach innen und nach außen verteidigen. Sie habe „immer mit Fröhlichkeit im Herzen“ der Partei gedient. Angela Merkel hat an diesem Freitagvormittag in der Hamburger Messe einen großen, würdevollen Abgang von der Parteispitze hingelegt. Den CDU-Ehrenvorsitz in absehbarer Zeit dürfte sie sicher haben, Flüchtlingskrise hin oder her.