„Wenn sich Wolfsburg in dieser Sache nicht mit seinem ganzen wirtschaftlichen und politischen Gewicht engagiert, wird sich nichts bewegen.“

Es ist ein großer Irrtum, dass Menschheits-Probleme „gelöst“ werden. Sie werden von einer gelangweilten Menschheit liegen gelassen - Kurt Tucholsky.

Der Wolfsburger Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD) hat leidenschaftliche Reaktionen ausgelöst: Er möchte zwei weitere Jahre im Amt bleiben. Als Grund nennt er mögliche Fusionsverhandlungen mit dem Kreis Helmstedt. Ob er Auftrag und Verlängerung erhalten wird, entscheidet der Rat der Stadt; bisher sieht es nach einer stabilen Mehrheit aus. Ist das skandalös, wie manche sagen? Eine Gegenrede.

Die Idee der Vereinigung der Stadt Wolfsburg und des Landkreises Helmstedt ist nicht neu. Mohrs hatte sie, noch frisch im Amt, gemeinsam mit dem damaligen Helmstedter SPD-Landrat Matthias Wunderling-Weilbier weit vorangetrieben – bis Innenminister Boris Pistorius seine Parteifreunde hart ausbremste. Es ist kein Geheimnis, dass eine Abordnung aus Braunschweig zuvor massiv protestiert hatte. Tatsächlich hatte man sich um Braunschweiger Belange wenig gekümmert. Die Helmstedter und Wolfsburger Nöte spielten plötzlich aber auch keine Rolle mehr. Seither liegt das Projekt brach.

Die Landesregierung zieht sich in Komfort stiftender Auslegung ihrer Pflichten auf die Position zurück, die Lösung müsse aus der Region kommen. So etwas könne man doch – aus Hannover! – nicht verordnen. Ergo müht sich der selbstbewusste Helmstedter CDU-Landrat Gerhard Radeck mit einigem Geschick um die Mobilisierung der Eigenkräfte. Das ist gut so, denn die Amtspflicht gebietet jedem Verantwortlichen, das Mögliche zu tun. Radecks Ansätze zur Entwicklung von Wirtschaft und Tourismus wirken vernünftig. Die strukturellen Probleme des Landkreises, insbesondere seine unzureichende Finanzbasis, werden sie aber kurz- und mittelfristig alleine wohl nicht lösen können. Der Kreis stünde dann vor weiteren Jahren deutlich eingeschränkter Handlungsfähigkeit, vor einem Leben am Tropf des Landes.

Darf man in dieser Situation die Arbeit an einer Lösung aufgeben? Klar ist zweierlei: Gespräche zwischen der aus allen Nähten platzenden Boomtown Wolfsburg und dem weitläufigen Kreis Helmstedt hätten Sinn. Denn in der Fusion läge erhebliches Potenzial für die Entwicklung beider Kommunen. Und: Wenn sich Wolfsburg in dieser Sache nicht mit seinem ganzen wirtschaftlichen und politischen Gewicht engagiert, wird sich nichts bewegen.

Die Gefahr eines Scheiterns durch Braunschweiger Einspruch ist gesunken. Im Rathaus sitzt inzwischen Ulrich Markurth, den mit Klaus Mohrs nicht nur das Parteibuch verbindet. Beide haben gezeigt, dass sie Zusammenarbeit hinbekommen. Mithin waren die Chancen für eine zukunftsweisende Aufstellung der Region schon lange nicht mehr so gut wie heute. Ob ein vergleichbares, die A2 überspannendes Vertrauensverhältnis zu einem Mohrs-Nachfolger rasch genug wachsen würde? Ein Kandidat, dem der Job aus dem Stand zuzutrauen wäre, ist nicht in Sicht.

Natürlich: Die Vereinigung Wolfsburgs und Helmstedts wird kein Selbstläufer. Es mag sein, dass sie nicht gelingt. Aber selbst wenn am Ende „nur“ eine enge Zusammenarbeit gelänge, wäre gegenüber dem heutigen, an Perspektive armen Zustand viel gewonnen.

Dennoch schallt dem Wolfsburger Oberbürgermeister ein Echo entgegen, das einem zarter Besaiteten die Lust verderben könnte. Da ist von Selbstbedienung die Rede, da wird beklagt, Mohrs klammere sich an die Macht. Selbst der Vorwurf des Rechtsbruches steht im Raum. Dabei äußert etwa Robert Thiele, in Fragen der niedersächsischen Kommunalverfassung von schwer zu übertreffender fachlicher Autorität, gegenüber unserer Zeitung keine Bedenken gegen Mohrs’ Verlängerung.

Das größte Kaliber im Arsenal der Mohrs-Kritiker hat der Verdacht, die Fusionsverhandlungen seien nur ein Vorwand. Mohrs sage ja gar nicht, was er nun konkret vorhabe. Das stimmt. Mohrs erklärt seine Zurückhaltung mit Respekt vor der Entscheidungsgewalt des Rates. Er könne nicht aktiv werden, bevor ihn das Kommunalparlament beauftragt hat. Das wäre eine Haltung, die dem Demokraten gut zu Gesicht steht.

Die These, Mohrs klammere sich an die Macht, steht in Widerspruch zum Bild, das Beobachter von ihm gewinnen konnten. Das ist einer, der sein Amt liebt – aber auch das Leben außerhalb des Amtes. Mohrs nutzt die Macht, und doch ist er eher Pflicht- als Machtmensch. Seine Lebensplanung sah eine längere Amtszeit nicht vor.

Vieles spricht dafür, dass Mohrs sich in der Pflicht sieht. Die Fusionsidee dürfte ein, wenn auch kaum der einzige Grund sein. Gegenwärtig sind Bälle in der Luft, die der Fußballfan besser im Kasten unterbringen kann, als ein Amtsneuling es vermöchte. Für die Digital-Offensive, aber auch für die Lösung des städtebaulichen Dauerproblems am Nordkopf haben sich Stadt und Volkswagen viel vorgenommen. Diejenigen Kräfte bei VW, die sich für den Heimat-Standort engagieren, dürften großes Interesse daran haben, den verlässlichen Mohrs an Bord zu halten. Es gibt im Management mehr als einen, der viel lieber die „Sichtbarkeit“ des Konzerns in den Metropolen stärken würden.

Unreflektiertes Misstrauen gegenüber Politikern gehört zum Alltag, wie der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel diese Woche beim Leserforum beklagte. Erstaunlich ist dennoch, wie radikal Mohrs’ Kritiker die Redlichkeit seiner Motive in Zweifel ziehen. Noch bemerkenswerter, wie wenig sie der Platzmangel einer Stadt umtreibt, in der Wohnraum extrem knapp und teuer geworden ist. Erstaunlich auch, dass sie nicht nach den potenziell fatalen Folgen der Enge einer Stadt fragen, die Sitz eines expansiven Weltkonzerns ist. VW muss sich neu erfinden – und wird für neue Produkte und Geschäftsmodelle Entfaltungsräume suchen. Wenn nicht in Wolfsburg, dann anderswo.

Mohrs ist, falls er das Mandat des Rates erhält, in der Pflicht, konkrete Initiativen zu ergreifen. So würde er seine Kritiker Lügen strafen und Wolfsburg dienen.