“Unsere feste Überzeugung ist: Arbeit 4.0 braucht einen Sozialstaat 4.0! “

Wirtschaft verändert sich ständig. Doch bei der aktuellen Transformation unter dem Stichwort „Digitalisierung“ handelt es sich um einen grundlegenden Wandel mit hoher Geschwindigkeit. Er findet zeitgleich weltweit statt und kann ganze Geschäftsmodelle und Branchen auf den Kopf stellen. Das Schlüsselwort heißt Vernetzung, die intelligente Verbindung vorhandener Daten.

Ein Beispiel ist das inzwischen denkbare Angebot ganzheitlicher, intelligenter Mobilitätskonzepte. Bleiben dabei auch künftig Fahrzeughersteller und die Zulieferer die Leitanbieter oder wird diese Rolle von großen Unternehmen wie Google, Apple, Uber oder Gett übernommen? Diese verfügen heute schon über die notwendige große Menge an Daten. Auch die Produktionsprozesse verändern sich, bis hin zu selbstlernenden Maschinen. Neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle entstehen. Und personalisierte Produkte sind durch Big Data möglich. Ebenso die Rationalisierung von Arbeitsplätzen.

Vor allem Letzteres verunsichert viele Menschen. Gibt es auch künftig genug Arbeit, von der Menschen gut leben können? Ich plädiere dafür, den Menschen Mut zu machen, und fordere auch die Arbeitgeber auf, ein klares Zukunftsversprechen abzugeben.

Es muss ein großes Gemeinschaftsprojekt von Staat, Arbeitgebern und uns Gewerkschaften werden, den digitalen Wandel zu gestalten. Was sind dabei unsere praktischen Erfahrungen als IG Metall? Zuallererst, das mag überraschen: Für viele Arbeitgeber ist Digitalisierung gar kein Thema! Verschiedene Umfragen, nach denen laut eigenen Arbeitgeber-Angaben etwa zwei Drittel der Führungskräfte über gar keine digitale Strategie verfügen (z.B. Bitkom 2017), sehen wir leider bestätigt. Das ist fahrlässig! Die IG Metall hat deshalb Strategien für innovative Mitbestimmung zur Gestaltung der Digitalisierung entwickelt.

Wir müssen, das ist die zentrale Forderung, für jeden einzelnen Arbeitsplatz abschätzen können, was durch die Digitalisierung auf uns zukommt. Die IG Metall in NRW hat dafür in Modellprojekten einen „Betriebsatlas“ entwickelt, der jetzt bundesweit von uns ausgerollt wird. Das ist die Basis, um proaktiv zu handeln.

Dabei gilt die Devise: Qualifizierung, Qualifizierung, Qualifizierung! Heute schon müssen die meisten Beschäftigten in den technischen Berufen viel mehr analytisch und in komplexen Prozessen arbeiten. Für diese Fähigkeiten braucht es Weiterbildungen. Dafür müssen wir Freiräume schaffen und die Finanzierung sicherstellen. Berufe werden sich umfassend verändern: Arbeit mit 3D-Druckern, cyber-physischen Systemen oder Algorithmen – das muss man alles lernen. Die notwendige Weiterbildung müssen wir von den Arbeitgebern einfordern, die Umsetzung mitgestalten – auch die Politik ist gefordert.

Mit dem neuen „Qualifizierungschancengesetz“ können ab Januar 2019 unter bestimmten Voraussetzungen auch solche Qualifizierungsmaßnahmen durch die Arbeitsagentur gefördert werden, mit denen vorausschauend auf einen möglichen Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung reagiert wird. Daneben gibt es noch einen zweiten Faktor für die erfolgreiche Begleitung der Digitalisierung: Beteiligung. Es ist egal, ob neue Produktions- oder digitale Prozessmanagementsysteme oder ob neue Formen der Arbeitsorganisation wie agile Arbeit eingeführt werden. Jeder Betrieb hat einzigartige Herausforderungen, Abläufe und Arbeitskulturen. Deshalb ist Beteiligung der Arbeitnehmer und Betriebsräte hier unerlässlich.

Wo Beschäftigte, persönlich und über Betriebsräte, Einfluss nehmen, profitieren sie von der Digitalisierung. Dort gelingt es, abwechslungsreichere, anspruchsvollere Arbeit und bessere Ergonomie bei gleichzeitig hoher Arbeitsproduktivität umzusetzen. Das ist soziale Innovation und modernes Management. Aber wie können Gewerkschaften auf völlig neuartige Beschäftigungsformen wie das so genannte Crowdworking reagieren? Wenn Aufgaben – zum Beispiel über digitale Plattformen – an eine unbestimmte Anzahl von Menschen gegeben werden, die diese dann erledigen? Selbst grundlegende gesetzliche Arbeitnehmer-Schutzrechte sind durch den formalen Selbständigen-Status der Crowdworkerinnen und Crowdworker außer Kraft gesetzt. Die IG Metall hat sich mit dem „Projekt Crowdworking“ seit 2015 dieser neu entstehenden und stetig wachsenden Beschäftigtengruppe zugewandt. Unter anderem haben wir unsere Satzung geändert, seit 2016 können Solo-Selbständige Mitglied der IG Metall werden und profitieren von zahlreichen besonderen Leistungen. Die politische Arbeit reicht von direkter Vertretung und Unterstützung von Crowdworker/-innen bis hin zu gesetzlichen Forderungen, um vor allem die soziale Absicherung der Solo-Selbstständigen zu verbessern – insbesondere bei der Krankenversicherung und den Altersbezügen.

Unsere feste Überzeugung ist: Arbeit 4.0 braucht einen Sozialstaat 4.0! Wir halten deshalb auch im Zeitalter der Digitalisierung an unserem ursprünglichen Ziel fest: der Schaffung guter und gut bezahlter Arbeit. Die IG Metall hat sich mit ihrem letzten Tarifabschluss stark an den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert. Neben einer Entgelterhöhung gibt es Wahloptionen für Arbeitszeitverkürzung und zusätzliche freie Tage für Erziehung, Pflege und belastender Schichtarbeit. Auch mit Regelungen zur mobilen Arbeit sind wir damit konkrete Schritte in die digitale Zukunft der Arbeit gegangen.

Der Weg ist lang, aber mit Offenheit für Veränderung und starken Belegschaften braucht der IG Metall davor nicht bange zu sein.