„Der Wähler erstarrt nicht mehr in Dankbarkeit, sondern genießt es, der Politik Beine zu machen“

Unsere Demokratie erlebt einen Abschied von alten Gewissheiten, bei dem die großen Volksparteien auf der Strecke bleiben. Die SPD, die unter Willy Brandt über 45 Prozent holte? Heute ein Schatten ihrer selbst und in Bayern quasi nicht mehr existent. Die Union, mit Konrad Adenauer noch jenseits der 50 Prozent? Hat sich Stand heute halbiert. Und jetzt also sogar die CSU.

Die Partei, für die Niederlagen so wahrscheinlich waren wie Alkoholverbot im Hofbräuhaus, erlebt einen Absturz mit Ansage. Und alle Beteiligten tragen Schuld daran. Vor Ort Ministerpräsident Söder, der zu spät erkannt hat, dass von Scharfmacherei am Ende besonders Grüne und Rechte profitieren. Dann Parteichef Seehofer, der mit seinem Hauptstadt-Exil fremdelt und statt mit Erfolgen zu glänzen die Große Koalition von einem Krisentreffen ins andere treibt.

Und auch die machthungrige zweite Reihe der CSU hat das Debakel mitverbockt. Selbst der dümmste Wähler durchschaut Symbolpolitik und weiß, dass es viel leichter ist, Kruzifixe in Amtsstuben zu nageln als endlich bezahlbaren Wohnraum für Familien zu schaffen.

Die CSU, die Bayern bislang mit großen Erfolgen regierte, hat offenbar das Gespür für die Bedürfnisse ihrer Wähler verloren und ist in der Realität gelandet. Es ist fraglich, ob sie zu alter Größe zurückfinden kann. Denn der Wähler erstarrt nicht mehr in Dankbarkeit, sondern genießt seine neue Rolle als jemand, der der Politik mit dem Stimmzettel Beine macht.

Es wäre menschlich, wenn die Kanzlerin beim Betrachten der langen Gesichter von München einen Moment der Schadenfreude verspürt hätte. Aber er wird nicht von Dauer gewesen sein. Sie weiß, dass eine starke Union immer auch eine starke CSU brauchte. Das Bayernbeben sendet nun Schockwellen in die CDU. Auch Angela Merkels politisches Ende ist mit der jüngsten Wahl ein Stück näher gerückt.